Unsere BM-Kolumnistin Stephanie Beutler erkundet in ihrer neuesten Ausgabe das Feiern ohne Barrieren. Wer solche Barrieren hat oder wo solche zu finden sind, erstaunt die "Sozi meets Kultur"-Autorin schon etwas. Auf und neben der Tanzfläche. Von Stephanie Beutler
«Ein Red Bull, bitte!», sagte der ambitionierte Tänzer, schon leicht ausser Atem. Er hatte auf der Tanzfläche gerade alles gegeben. Seine gewagten Pirouetten und seine Michael Jackson artigen Moves hatten schon seit ein paar Minuten die Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf sich gezogen. Auch an der Bar konnte er die Füsse nicht wirklich stillhalten und zuckte während der Bestellung rhythmisch und etwas kurios hin und her. Leicht heiser schrie er zu mir rüber, dass das eben seine Lieblingsmusik sei! Oldies! Zu denen könne man eben super tanzen! Ich nickte lachend und antwortete; «Ja, das sieht man». Kaum hatte er sein Getränk erhalten, stürzte er sich wieder voll motiviert und schwitzend auf die Tanzfläche.
Gekonnt wich eine junge Frau den ausladenden Tanzbewegungen aus und drehte ihrerseits den Rollstuhl in einer Pirouette zur Seite. Ein Pärchen, welches sich etwas abseits in unmerklich sanfterer Weise im Rhythmus wiegte, war mit sich selbst beschäftigt und liess sich von dem übermotivierten Tänzer nicht beeindrucken. Unweit von ihnen stand am Rande eine Aufpasserin bereit. Ebenso wie in der Nähe des Tänzers. Die wippten zwar auch gemütlich mit der Musik mit, waren aber auch ständig aufmerksam, nur für den Fall, dass die Ambitionen plötzlich überhand nehmen sollten.
LA VIVA! Die Lebendigen, das Lebhafte! Ein wundervoller und auch treffender Name für die Party-Reihe des Vereins Procap. Denn lebendig ist diese Party allemal! Barrierefreies Feiern, mit und ohne Handicap. Das ist das Credo des Vereins, der sich in vielen verschiedenen Bereichen für die Inklusion handicapierter Menschen einsetzt. Zu diesem Zweck finden die Partys mehrere Male jährlich, an verschiedenen Orten in der ganzen Schweiz statt. In Bern sind sie in der Heiteren Fahne und im Gaskessel anzutreffen.
«Ein Red Bull, bitte!», rief der Tänzer erneut über die Theke. Das war sicher schon sein drittes oder viertes, vermutete ich und stellte fest, dass bei ihm der Schweiss nun langsam in Strömen floss. Immer noch zuckte er im Rhythmus hektisch hin und her. «Wen wundert es, nach all den Red Bulls!», dachte ich mir schmunzelnd.
Für die handicapierten Besucher ist die Party ein Highlight und eine Bereicherung ihres Alltags. Leider sind jedoch nur einzelne sonstige Gäste in dem Getümmel auszumachen. Es scheint, dass der ubiquitäre Begriff der Inklusion von allen Seiten her gutgeheissen wird, die Barriere sich jedoch nicht unbedingt nur auf die körperlichen Einschränkungen der handicapierten Besucher beschränkt, sondern eher bei den Berührungsängsten des «normalen» Publikums erkennbar wird. Sehr schade, denn von dieser wohlwollenden, heiteren Ausgelassenheit könnte man sich durchaus gut anstecken lassen. Die Teilhabe von handicapierten Menschen am kulturellen Leben ist keinesfalls nur einseitig gewinnbringend.
«Ein Red Bull, bitte!», schallte es erneut von vor der Bar. Der Tänzer schien nun langsam etwas von der Rolle zu sein, ließ sich aber davon nicht von seiner Performance abbringen. Einige Minuten später rannten die Betreuer hektisch mit Wasser und Eisbeuteln hin und her. Der Tänzer lag erschöpft am Boden. Der Gute hatte sich selbst beinahe in Ohnmacht getanzt! Der ganz normale Party-Wahnsinn eben…
Weitere Termine der «La Vida»-Partyreihe
Aarau Flösserplatz – DiscO!mania > 18. 1. l 8. 3. l 12. 4. l 24. 5.
Basel QuBa – Disc+o > 16. 2. l 6. 4. l 14. 9. l 9. 11.
Bern Gaskessel > 22. 2. l 17. 5.
Heitere Fahne > 6. 9.
Luzern Südpol Kriens > 23. 3.
Olten Wunderbar Disco 4 all > 24. 5. l 20. 9.
St. Gallen Lagerhaus > 2. 3. | 1. 6. l 7. 9. l 7. 12
Wetzikon Kulti Puuredicso > 17. 1. l 14. 2. l 14. 3. l 18. 4. l 16. 5.
Zürich LaborBar > 5. 1. l 2. 2. I 2. 3. l 6. 4. l 4. 5.