Zurück

Sibylle Berg – Wunderbare Jahre

Als wir noch die Welt bereisten

Der neue Roman der Schweizer Autorin Sibylle Berg handelt von Entdeckungsreisen durch die Welt, damals als sie noch kein gemeingefährlicher Ort war, in der ständig die Angst überhand nimmt im terroristischen Kugelhagel jeden Moment das Zeitliche zu segnen. Von Sebastian Leiggener

Wie seltsam schnell und doch verzögert in der Wahrnehmung sich die Welt verändert„. Mit diesen Worten beginnt der neue Roman von Sibylle Berg. Auf 180 Seiten nimmt uns die Schweizer Autorin einmal mit um die Welt – die damalige Welt um korrekt zu sein. Eben früher, als wir noch die Welt bereisten. Uns erfreuten an anderen Kulturen, an idyllischen Landschaften, am offenen blauschimmernden Meer. Als Reisen noch Abenteuer war, nicht 12 Stunden wie Sardinen in engen und zu kalten Flugmaschinen eingekerkert und mit Instantessen vollgestopft, in der verzweifelten Hoffnung, das Gefährt nicht als Opfer eines terroristischen Anschlages in die Luft gesprengt verlassen zu müssen. Was bleibt, nur eine schnell vergessene klägliche Randnotiz in den täglichen Medien, vollbepackt mit noch traurigeren Nachrichten.

So ist es, dieses dünne Buch, brutal ehrlich. Die Autorin schmeisst uns mit viel Redekunst verpackt in goldigen Worten und gespickt mit bissiger Ironie das Leben an den Kopf wie es ist. Nicht wie wir es vielleicht sehen wollen. Wir reisen mit ihr durch eine Welt die täglich ein bisschen kaputter wird. In der sich Kulturen nicht mehr interessant finden, sondern sich gegenseitig aus religiösem Hass dahinmetzeln. Religionen – ist doch alles dasselbe, könnte man meinen. Eine Welt, deren idyllische Landschaften längst zubetoniert sind mit kalten Hotelkomplexen, gebaut wie ein all inclusive Touristenförderband in dem die Bespassung des Einzelnen mehr zählt als das Leben der anderen.

Wunderbare Jahre ist eine Zusammenstellung verschiedenster Reiseberichte und Kurzgeschichten der Autorin. Das Buch ist dabei erschütternd zwiespältig. Der Leser ist beschämt und wirklich angewidert, weil er sich beim Lesen mit dem Leben von Parul beschäftigen muss. Leider eine Frau aus Bangladesch, deren einziger Fehler es ist, eine Frau in Bangladesch zu sein. Das Buch ist aber auch belustigend ironisch. Während die Protagonistin durch das glamouröse Cannes schlendert, oder in Südafrika Wein degustiert oder auf Kreuzfahrt geht und so den Sinn des ganzen Unsinns dieses Reisens entdeckt. Auf der Suche nach Ruhm und Ehre wird uns allen ein Spiegel vorgehalten, der unserer kapitalistischen Fratze gar nicht schmeichelhaft bekommt. Sowieso, der Kapitalismus ist an allem Schuld, wie immer bei Frau Berg. Dennoch schmunzeln wir ab der pointierten Ironie. Die Berichte strotzen vor Zynismus und sind gleichzeitig verzweifelnd melancholisch und tief tragisch. Die Gedanken der Autorin während tristen Wanderungen durch Städte wie LA oder Weimar zeigen Gefühle auf, die jeder von uns nur zu gut kennt und gerne verdrängt. Das Wissen, ein privilegiertes europäisches Durchschnittsleben zu führen und sich ab und an dafür zu schämen, nicht jedoch ohne sämtliche Vorteile ausschweifend zu nutzen. Und schliesslich ist es verhalten optimistisch, denn nur konfrontiert mit der Realität, lässt sie sich durch uns auch ändern und das ist die Stärke eines jeden Berg-Buches: Ungeschönte Konfrontation mit sich selbst.

Infos

Sibylle Berg ist deutsch-schweizerische Schriftstellerin und Dramatikerin mit Wohnsitz in Zürich und Tel Aviv. Sie schreibt neben ihren bisher 15 Romanen, Essays, Theaterstücke, ist Drehbuchautorin und Kolumnistin bei verschiedenen Zeitschriften. Ihr neuer Roman Wunderbare Jahre ist ein Zusammenschnitt von Erzählungen aus dem Leben und den Reisen der Autorin.

Weitere lesenswerte Romane sind:
- Vielen Dank für das Leben
- Der Mann schläft
- Die Fahrt
- Ende Gut
- Ein paar Leuten suchen das Glück und lachen sich tot

Zudem erscheint wöchentlich auf SPIEGEL online die Kolumne "Fragen Sie Frau Sibylle" in der sie in ihrer gewohnt bissigen Art die brennendsten Fragen der Gesellschaft löst und sicherlich eines Tages den Weltfrieden bringen wird.

http://www.spiegel.de/thema/spon_berg/

WARNHINWEIS: Sibylle Berg's Sprache ist grundehrlich, bissig scharf und bissweilen deprimierend schön. Die Bücher könnten Ihr Leben zerstören.

ab sofort im Handel

Do 06.10. 2016