Zurück

Schauplatz Bern #6: Mach die 100 voll!

Innerhalb eines Jahres ganze hundert Konzerte besuchen? Diese wundervolle Challenge wurde ja sowas von accepted. Von Kilian Ochsner

Anfang des Jahres macht man sich ja bekanntlich immer gute Vorsätze, die man aber meist spätestens am Dreikönigstag wieder verwirft. Ich nehme mich normalerweise von dieser Faustregel nicht aus, doch in diesem Jahr war es keine allzu grosse Herausforderung für mich, meinen Vorsatz fürs Jahr 2016 auch in die Tat umzusetzen.

Doch von Anfang an: Letzten Herbst, als ich zum ersten Mal seit über sechs Jahren wieder als Single unterwegs war, stellte ich fest, dass mich Musik einfach glücklich macht. Also pilgerte ich Woche für Woche zu den unterschiedlichsten Schweizer Destinationen, an denen Livemusik gespielt wurde, und stellte bald fest, dass ich im Schnitt auf zwei bis drei Konzerte pro Woche kam. Und so setzte ich mir das ehrgeizige Ziel, bis Ende des Jahres mindestens 100 Gigs zu besuchen. Ambitioniert? Sicher. Unmöglich? Wo denkt ihr hin!

Zu den Regeln: Als Konzert gilt ein Tag an einer Location. Die Bad BonnKilbi, zum Beispiel, zählt als drei Konzerte, obwohl man ja an den drei Tagen ein vielfaches an Bands gesehen hat. Wenn man am selben Abend jedoch von der Turnhalle in die Playground Lounge wandert und an beiden Orten mindestens eine Band auf der Bühne gesehen hat, darf man sich das als zwei aufschreiben. Und Konzerte zählen nur, wenn man mindestens drei Songs der Band (bei Postrock oder anderen Genres mit langen Tracks darf man das auch nach 20 Minuten verbuchen), gehört hat.

Den ersten Schritt in Richtung Zielerfüllung zeigte sich schon um Mitternacht an Silvester mit Peacock Smith, der damals noch Solo auf der Bühne stand. In der ersten Januarwoche sollten noch zwei weitere Konzerte folgen. Bei einem ambitionierten Ziel von 100 Konzertbesuchen geht man manchmal auch einfach hin, weil man jemand kennt, der auch da ist, oder weil einem jemand gesagt hat, diese oder jene Band sei noch ganz gut – manchmal halt ein Griff ins Klo. So geschehen beispielsweise bei The Voodoo Fix diesen Mai im Rössli: ein Konzert so wenig nach meinem Geschmack wie Adam Sandler-Filme. Manchmal ist man aber von einer Band auch einfach nur völlig überwältigt, die man vorher nur am Rande kannte, man sich aber dennoch den Ruck gab, und sogar unter der Woche ins Fri-Son pilgerte. Wie diesen Frühling (oder war’s noch Winter?) mit den doch eher rauhen Shoegazern von A Place to Bury Strangers. Ein Konzert, das mir noch lange in bester Erinnerung bleiben wird.

Als ich mich im Oktober immer mehr der 90-Konzertmarke annäherte, versuchte ich die vollen 100 mit etwas Würdigem zu erringen. So rechnete ich mal und linste dabei auf meinen Kalender. Nach sorgfältiger Planung ab Gig 95 konnte ich es mir dann auch so einrichten, dass Nummer 98, 99 und 100 auf Bands fielen, auf die ich mich schon sehr lange gefreut hatte.

Eingeläutet wurde dieses wundervolle Dreierpaket mit Isolation Berlin im Zürcher Gonzo Club.  Klar sah ich sie bereits zwei Tage zuvor („Klar“für einen Konzertfreak wie unser geschätzter Kolumnist, Anm. der Redaktion) im Dachstock als Opener für New Model Army, doch in so ’ner Spelunke wie dem Gonzo und als einzige Band des Abends, wollte ich sie mir definitiv nicht entgehen lassen. Es sollte ein gelungener Abend werden, was nicht nur am Mexikaner lag, (über dieses fabelhafte Getränk wurde bereits in einer Kolumne von Kevin, unserm Mann in Hamburg, berichtet) auch das Konzert war – spätestens nach dem dritten Lied und als die kleine, aber wilde Meute in dem stickigen Keller sich so richtig zu bewegen begann – absolut spitze. Nihilismus in Liedform der glücklich macht. Der Ausflug nach Züri hatte sich definitiv gelohnt.

Für die 99 hiess es dann wieder Dachstock. Mit Swans war da ja auch jemand zu Gast, der mich, als Fan der experimentellen Musik, doch sehr anspricht. Experimentell sollte es denn auch vom ersten Akkord an werden: Der wurde nämlich geschlagene 20 Minuten, mit etwas Variation in Lautstärke und Begleitung, durchgehalten. Danach folgten noch gute zwei Stunden, in denen tatsächlich Songs gespielt wurden… laut, sehr, sehr laut, so laut, dass man die Musik, auch noch hinten neben dem Mischpult stehend, im ganzen Körper spürte. Es war anstrengend, es war verstörend – und doch wurde man von der Musik regelrecht eingesogen, ja richtiggehend hypnotisiert. Nach der Show traten wir auch alle ziemlich erschöpft aber glücklich die Heimreise an.

Da ich danach geschlagene vier Tage auf Livemusik verzichtete, fiel die 100 auf das Konzert, dessen Ticket ich schon fast ein Jahr im voraus gekauft hatte: The Cure in Basel. Die Vorfreude war kaum zu übertreffen als wir am frühen Freitagabend den Zug bestiegen und in Richtung Rheinstadt fuhren. In der St. Jakobshalle angekommen, waren schon The Twilight Sad auf der Bühne, die übrigens wesentlich bessere Musik machen, als ihr Bandname vermuten lässt, richtig begeistern vermochten sie mich jedoch nicht. Na gut, um fair zu bleiben: In diesem Moment konnte mich nichts so richtig begeistern, zumindest nichts ausser der Tatsache, dass in weniger als einer Stunde The Cure auf der Bühne stehen sollten. Als es dann so weit war, schoss mein Endorphinpegel steil durchs Dach, obwohl es zu Beginn etwas leise und breiig abgemischt war. Die Lautstärke und auch die Qualität des Sounds verbesserten sich ein wenig im Verlaufe des gut zweieinhalbstündigen Konzerts und die Setlist, die gespielt wurde, war der absolute Oberhammer. Meine Laune war während des gesammten Abends auf Rekordniveau.

Abschliessend kann ich nur sagen, dass ich die runde 100 – zumindest in meinen Augen – mit Würde vollgebracht habe, und das immerhin bereits nach gut zehn Monaten! Genossen habe ich die Ausführung dieses Vorsatzes auf jeden Fall, auch wenn ich nicht weiss, ob ich dieses Experiment demnächst wiederholen werde. Vielleicht, wenn’s  mehr Isolation Berlin und weniger Voodoo Fix gibt.

Infos

Er kennt die Stadt wie seine rechte Westentasche, ist sowohl in Spelunken als auch in überdimensionierten Konzerthallen anzutreffen und scheint einen unstillbaren Appetit auf Berns Kulturleben inne zu haben. Kilian Ochsner schaut für den Bewegungsmelder tief ins hiesige Treiben und stürzt sich gewohnt unbefangen und unparteiisch ins bunte Getümmel.

Di 22.11. 2016