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Schauplatz Bern #2: Post-Kilbi-Remedy

Was macht man eine Woche nach der Kilbi um nicht total im Post-Kilbi-Blues zu versinken? Fussball schauen und Musik hören, natürlich. Und mit dem Beginn der Europameisterschaft und dem Programm in der Reitschule gibt es ja von beidem genügend. Von Kilian Ochsner

Eigentlich sollte ich ja seit letzter Woche an akutem Post-Kilbi-Blues leiden, doch zum Glück lebe ich in Bern und es gibt genügend Möglichkeiten sich abzulenken. So zum Beispiel in der Reitschule, welche ein fantastisches Programm zu bieten hatte. Und zusammen mit dem Beginn der Europameisterschaft habe ich ja gleich zwei sehr potente Antidepressiva, um dem Blues entgegenzuwirken.

Eine Woche nach der Kilbi spielten nicht nur diverse Herren in Frankreich um den Titel des Europameisters, nein, auch diverse (ein bisschen ältere) Herren spielten im Dachstock um den Titel der lautesten Band. Die Rede ist selbstverständlich von Dinosaur Jr., welche diese wunderbare Location rockten. Aber jetzt mal schön der Reihe nach: Nachdem ich mir mit ein paar Freunden den Sieg der Schweizer Nationalmannschaft sowie die erste Hälfte des Spiels Wales gegen die Slowakei was für ein Vorwärtsdrall-Freistoss von Bale! – im Fussball-Lokal HalbZeit (werdet Mitglied!) genießen konnte, ging’s ab ins Sous Le Pont. Zur Vorspeise gönnte ich mir eine kalte Gurkensuppe, welche ihresgleichen sucht und zum Hauptgang gab’s Osso Bucco so zart, dass man das Fleisch mit der Gabel vom Knochen lösen konnte. Zur Beilage gab es etwas untraditionell, aber keineswegs unpassend, Knödel. Das Osso Bucco, normalerweise eine Kalbshaxe, stammte aber viel mehr von einem „Guschti“, denn die Portion hatte es in sich; nicht mal der Vielle Prune, welchen vor uns als „Verrisserli“ gönnten, mochte dem Völlegefühl etwas anhaben und so pilgerten wir zufrieden und etwas überfressen in den Dachstock um mit den Altherren des Alternative Rock zu feiern.

Zuerst spielte noch Poutre aus Frankreich, welche mich nicht wirklich zu überzeugen vermochten. Sie klangen und sahen etwas aus und wie ein Versicherungsvertreter, ein Softwareentwickler und ein Töfflimechaniker, welche sich über etwas ganz doll aufregen. Zugegeben: Der Versicherungsvertreter (Schlagzeuger) hatte es scho ganz gut im Griff und es war, für etwa drei Songs, auch ganz amüsant ihm zuzuschauen. Doch ganze 50 Minuten hätten es nicht sein müssen.

Nach einer kurzen Umbaupause betraten dann Dinosaur Jr. die Bühne und nahmen vor einer Wand aus Marshall-Verstärkern ihre Plätze ein, um dem Dachstock eimzuheizen. Das machten die Herren um J Mascis fantastisch. Das Set enthielt sowohl alte Klassiker, welche mich in meine Teenager-Jahre zurückversetzen, als auch Songs ihrer neuesten Platte, welche sich stilistisch kaum von ihrem älteren Repertoire unterschieden. Müssen sie auch nicht, denn: never change a winning system. Spätestens als sie mit „Just like Heaven“ von The Cure in die Coverkiste griffen, war mein Endorphinpegel unterm Dach und meine Vorfreude auf das Cure-Konzert im November vollends entfacht. Nebst der Qualität muss auch die Lautstärke erwähnt werden; Es war laut, sehr laut. So laut, dass ich mich fragte, wie die Swans, welche im Herbst im Dachstock zu Gast sind, das noch übertreffen können. Aber das werden wir in ein paar Monaten sehen.

Der Samstag allein hätte den Post-Kilbi-Koller fast spurlos beseitigt, doch auch am Sonntag wusste die Reitschule zu entzücken. Nach einem Fussball-Nachmittag im Breitsch und in der Lorraine spielte da der unglaublich sympathische Ire mit dem Namen I Have a Tribe. Nachdem ich fast die ganze erste Halbzeit von Deutschland gegen die Ukraine auf dem Handy geschaut hatte, fing das Konzert an. Musikalisch hätten die beiden Konzerte, welche ich an diesem Wochenende in der Reitschule genießen durfte, kaum unterschiedlicher sein können: Während Dinosaur Jr. auf Volumen, Tempo und Druck setzten, die Stimme hinter den Instrumenten zum Teil kaum wahrnehmbar war, so setzte I Have a Tribe wiederum auf Intimität und die wunderschöne, facettenreiche Stimme, welche in den Liedern Geschichten aus dem Leben erzählten.

Unterm Strich kann man sagen, dass Dinosaur Jr. die perfekte Band für Samstagnacht war und I Have a Tribe einen gemütlichen Sonntagabend ideal abrundete. Auf jeden Fall hat die Reitschule mir erneut bewiesen, dass sie der schönste Schandfleck der Welt ist und Bern ohne sie ein viel tristerer Ort wäre. Danke, Reitschule!

 

Infos

Er kennt die Stadt wie seine rechte Westentasche, ist sowohl in Spelunken als auch in überdimensionierten Konzerthallen anzutreffen und scheint einen unstillbaren Appetit auf Berns Kulturleben inne zu haben. Kilian Ochsner schaut für den Bewegungsmelder tief ins hiesige Treiben und stürzt sich gewohnt unbefangen und unparteiisch ins bunte Getümmel.

Di 14.06. 2016