Was die neuste Konsole von Nintendo kann (und was nicht). Von Rico Plüss
«Console war» bezeichnet den virtuellen Schwanzvergleich zwischen der Anhängerschaft der drei Konsolenherstellern Microsoft (Xbox), Sony (PlayStation) und Nintendo (Switch). Das Ziel dabei ist es, die eigene Konsole möglichst gut zu reden und die anderen zu «bashen», sie also schlecht zu machen und auf ihre Nachteile hinzuweisen. Dies oft in profaner Sprache, gespickt mit Schimpfwörtern und Beleidigungen. Ohne das mit wissenschaftlich erhobenen Daten untermauern zu können, wird an dieser Stelle vermutet, dass der durchschnittliche «Flamer» zwischen 13 und 25 Jahre alt und männlich ist.
Nintendo bekommt in diesem «Krieg» meist hinsichtlich zwei Punkten ihr Fett weg: Grafik und AAA-Spielesupport. Der erste Punkt zielt darauf ab, dass spätestens seit dem Gamecube die Konsolen von Nintendo weit hinter den grafischen Darstellungsleistungen der Konkurrenz hinterherhinkt. Sie macht seit diesem Zeitpunkt auch nie mehr Anstalten, «cutting edge» hinsichtlich der visuellen Präsentation zu sein. Der zweite Punkt spricht die Tatsache an, dass viele grössere Game-Studios ihre «big budget»-Games gar nicht erst für Nintendo-Konsolen herausgeben. Die «Battlefield»-Reihe könnte man hier als prominentes Beispiel nennen. Mit ihrer eigenem «intellectual property» (IP) hat Nintendo aber seit je her einige zugkräftige Pferde am Start: Die Spielreihen von Mario und Link (Zelda) sind von den absatzstärksten aller Zeiten.
In diesen «Krieg» um Framerate, HDR-Support, Anzahl Pixel und Effekte schickt Nintendo die Switch. Diesen Hybriden, den man auch im Zug spielen kann und der nicht viel leistungsstärker ist als das Game-Tablet von Nvidia. Kein Wunder also, füllten sich vor dem Launch die Kommentarspalten mit Häme und den üblichen Herablassungen. Wie man jetzt sieht, hat Nintendo den Nerv der Zeit offenbar einmal wieder perfekt getroffen: Die Switch verkauft sich weltweit schneller als sie derzeit produziert werden kann. Und das, obwohl noch nicht einmal sonderlich viele zugkräftige Spiele dafür erschienen sind.
Line-Up
Nintendo machte es geschickt und veröffentlichte die Switch zusammen mit dem neuesten Zelda-Ableger, «Breath Of The Wild» – dem Spiel, das dafür sorgte, dass die Switch schon von Beginn weg reissenden Absatz fand. Später zogen dann Mario Kart 8 Deluxe und Splatoon 2 nach, ersteres eine überarbeitete Kopie des erfolgreichen Spiels für die Wii U und letzteres der Nachfolger des Überraschungshits Splatoon, auf welches nachfolgend kurz eingegangen werden soll.
Splatoon 2
Dass Nintendo einen Multiplayer-Shooter herausbringt, hätte vor ein paar Jahren auch niemand erwartet. Doch ‚Splatoon‘ (BM-Review) kleckste sich in kurzer Zeit in die Herzen von Millionen Menschen weltweit und zeigte, dass Shooter nicht in grün-grau und mit viel Fokus auf Headshots daherkommen müssen. Der Nachfolger erfand das Rad nicht neu, sondern schraubte feinmechanisch am Gameplay, so dass für Enthusiast_innen etwas mehr Spieltiefe resultierte. Aber Splatoon 2 bleibt ideal, wenn man nur kurz ein paar Matches spielen will und gerade keine Zeit hat, sich länger in ein Spiel zu vertiefen.
Was das restliche Line-Up angeht, sind Knaller noch rar gesät. Das verblüffende «Mario + Rabbids Kingdom Battle» (Review) erobert derzeit die Kritikerherzen und sprengt Genre- und Franchisegrenzen und Ende Oktober kommt Mario Odyssee heraus, das erste Stand-Alone-Mariospiel für die Konsole. Ansonsten dominieren Ports und/oder Aufgüsse (L.A. Noire, Skyrim, FIFA) oder Neuerscheinungen innerhalb bereits etablierten Spielreihen (Shin Megami Tensei, Tales-Of, Dragon Quest, Xenoblade Chronicles). Da hat die Switch durchaus noch Bedarf an hochkarätigem Material, gerade für ältere Spielende.
Die Switch im Alltag
Der Rezensent sitzt täglich 2 Stunden in einem Zug, da drängt sich die Switch richtiggehend auf. Mit dem nötigen Zubehör kann denn auch ein Spieleerlebnis möglich gemacht werden, das derzeit seinesgleichen sucht. So sieht das aus:
Verstaut wird der Screen der Switch zusammen mit dem Stand in einem Case, in welchem auch noch ein Ladegerät und Kabel Platz haben. Das Case und der Pro Controller nehmen im Rucksack relativ wenig Platz weg und fallen auch vom Gewicht her nicht gross… ins Gewicht. Noch erntet man kuriose bis verblüffte Blicke und muss sich darauf einstellen, dass einem die Sitznachbarn mehr oder weniger unverhohlen beim Spielen zuschauen, doch das ist es allemal wert. Konsolenspiele können so tatsächlich unterwegs gespielt werden. Und auch wenn die Switch grafisch nicht mit der PS4 Pro und erst recht nicht mit der demnächst erscheinenden Xbox One X mithalten kann, schlägt sie den Gameboy 3DS locker. Und gottlob hat sich Nintendo dazu entschieden, die Switch (und auch den Pro Controller) mit einem USB-C-Anschluss auszustatten; somit können neue Handys und die Konsole mit demselben Kabel geladen werden. Wer ein Notebook hat mit USB-C, der kann sich sogar dessen Ladekabel für alle drei Geräte (Handy, Switch, Notebook) benutzen, was den Adaptersalat deutlich reduziert.
Fazit
Nintendo hat alles darauf gesetzt, ein innovatives Erlebnis jenseits von Grafikbombast zu ermöglichen. Mit der Switch ist ihnen ein kleines Meistwerk gelungen. Sogar die Bedienung und das Menü sind mittlerweile modern, schlicht und durchdacht und sehen nicht mehr so kindisch aus wie zu Zeiten der Wii (U). Wer in dem derzeit spärlichen Line-Up ein paar ansprechende Spiele findet und viel im Zug unterwegs ist, der wird an der Switch mächtig Freude haben. Und diejenigen, die das letzte Quäntchen Grafik wollen, denen sei viel Spass mit Microsoft und Sony gegönnt. Und, man glaubt es zwar kaum, es ist aber auch tatsächlich möglich, alle drei Hersteller für ihre jeweiligen Produkte gut zu finden. Das Internet wäre nämlich ein wesentlich besserer Ort, wenn friedliche Koexistenz statt „Console wars“ vorherrschen würde.