Simon Baumanns erster Streich in der Turnhalle: Eine unglaublich sphärische und eingängige Klanginstallation, vom Publikum im Liegen konsumiert. Das Review. Von Sven Sommer
Liegekonzert? Kissen mitbringen? Ich war gespannt. Kissen nahm ich keines mit, ich vertraute auf die matratzenartigen Kissen in der Turnhalle. Da angekommen, erfuhr ich umgehend: «Unten gibt es gratis Espresso und such dir schnellstmöglich einen Liegeplatz.» Ich tat wie mir geheissen und mein Vertrauen in die Kissen wurde nicht enttäuscht. Ich war ziemlich früh da und hatte noch gut Zeit, mir meinen Platz zurechtzuschieben. Unter der Treppe? Nee, besser vor dem Mischpult, da wird die Akustik wohl am besten sein. Aber da sehe ich nichts, weil die Kaffeemaschine im Weg steht. Tatsächlich, da stand mitten im Raum eine grosse Gastro-Kolbenmaschine. Dahinter das Team vom Adrianos. Bevor ich mein Kissen noch ein drittes Mal nach rechts rückte, um zur guten Akustik auch noch etwas zu sehen zu kriegen, holte ich mir erst mal einen Espresso.
Auf die Frage, was das mit dem Kaffee zu bedeuten habe, sagte Adrian Iten, dies gehöre zur Klanginstallation. Erst jetzt fielen mir die Mikros über Kaffeemaschine und -mühle auf. Die Spannung wuchs.
Es war bereits ein sanfter Synthieklang zu hören. Die Fenster waren mit Molton verdunkelt, kleine Wohnzimmerlampen spendeten gedimmtes Licht. Die Galerie wurde von den braunen Ledersofas und Ledersesseln gesäumt, welche aber nicht zum Liegen gedacht waren. Hinlegen konnte man sich auf dem ganzen Saalboden. Dieser war mit Teppichen und Kissen bedeckt und wo noch Platz war, breiteten die Zuschauer ihre mitgebrachten Yoga- und Isomatten aus. Der Platz reichte sogar für jeden zum Beineausstrecken. Die Atmosphäre war sehr angenehm heimelig und freundlich und das Bild erinnerte ein bisschen an die Matratzenecke im Kindergarten. Da trat Simon Baumann an den Synthie und es wurde still im Saal.
Langsam steigerten sich die einzelnen Töne in eine Melodie, welche nach kurzer Zeit, fast unbemerkt, von einer Geige unterstützt wurde. Manchmal hob jemand im Publikum den Kopf um zu sehen was sich auf der Bühne tat, doch dies war nebensächlich. Es ging rein um den Klang, schliesslich lagen ja fast alle auf dem Rücken und schauten zur Decke. Die Lampen waren alle erloschen, mit Ausnahme zweier Scheinwerfer, die auf die Bühne gerichtet waren und den kleinen roten Lichtlein der Kaffeemaschine. Auf der Bühne gesellte sich nun Mario Batkovic am Akkordeon hinzu. Hier und da setzte sich Simon Baumann zu seinem Schlagzeug hin und unterstütze die Melodie rhythmisch. Als die Klänge verklangen und das letzte schwingende Becken des Schlagzeugs verstummte, setzte eine warme, berndeutsche Stimme ein. Pedro Lenz erzählte eine humorvolle Geschichte über Frühstück aus Kaffee und Zigaretten.
Das ganze Programm war eine einzige, geniale Abfolge von Klängen und Melodien, gemacht aus Worten, Instrumenten und Geräuschen. Simon Baumann vereinte Xylophon, Klarinette, Pedal-Steel-Gitarre und reihte E-Piano und Samples von Gitarre und Cello aneinander. Ein Abschnitt begann mit dem live aufgenommenen Geräusch von einem wackelnden Servicetableau, welches mit zig Espressotassen beladen war. Die Tassen schepperten im Takt als ein leichtes Vogelgegacker einsetzt. Zu diesem Grundbeat gesellte sich dann der Synthesizer dazu und das Schlagzeug verwandelte das ganze schliesslich in ein Acid-House-Stück, wozu man eigentlich aufstehen wollte um zu tanzen. Doch da war es auch schon wieder vorbei und die Musik ging in die nächste Phase über.
Dies war auch gleich eines der bewundernswertesten Aspekte der ganzen Vorstellung, die als «Gegenteil eines Konzertes» geplant war : Kein Abschnitt dauerte lange genug, um Langeweile aufkommen zu lassen. Vielleicht waren hier und da einige sehr experimentelle Teile, welche sich manchmal etwas aushalten lassen mussten, doch das beeinflusste die Vorstellung keineswegs negativ. Schliesslich liegt man ja. Auch wurde man nie müde, obwohl die knappen zwei Stunden ein einziges, nie unterbrochenes, meditatives Mixtape darstellen. Und wie es das so mit sich bringt, wurde auch nur einmal applaudiert: Stehend, am Schluss.
Ausblick auf Carte Blanche #2
Am Sonntag, 17.04.16 spielt Simon Bauman mit Hank Shizzoe, dem Züri West Gitarristen Tom Etter und dem Posaunist Michael Flury. Die ersten drei genannten bilden das Hank Shizzoe Trio und spielen Songs von Shizzoes neustem Album «This Place belongs to the Birds». Michael Flury unterstreicht die bluesigen Americana-Songs mit der Posaune. Dieses, diesmal im Konzertstil gehaltene Programm mit den vier Klassemusikern wird wieder ein klangliches Wahnsinnserlebnis.
Doors: 20.30