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Festivalreport: Roskilde Festival

Orange, die Farbe der Herzlichkeit

Das Roskilde in Dänemark. Das waren 100‘000 vom Orange-Feeling infizierte Besucher, welche das Musikfestival in Dänemark zu einem der grössten Europas und wohl zum herzlichsten rund um den Globus machten. Von Christoph Aeschlimann

Und es ist – da hilft kein Impfstoff – wirklich ansteckend, dieses Orange-Feeling. Kein Weg führt daran vorbei, immer wieder holt es einen ein. Das Gelände trägt es nach aussen, die 30‘000 freiwilligen Helfer versprühen es und die 100‘000 Besucher nehmen es dankbar in sich auf.

Das Roskilde Festival wurde 1972 als Non-Profit-Organisation gegründet und hat in den letzten 44 Jahren satte 36,5 Millionen Euro an gemeinnützige Organisationen gespendet und steht wie keine andere Grossveranstaltung für humanitäres und kulturelles Engagement. Es ist dieses selbstlose, gutmütige und leidenschaftliche Dasein, welches auf die Menschen überschwappt und Orange, die Farbe des Roskilde Festivals, zur Farbe der Herzlichkeit macht.

Das Roskilde Festival findet in der gleichnamigen, mit knapp über 50‘000 Einwohnern überschaubaren Stadt, etwa 30 Km westlich von Kopenhagen statt. Die sieben Bühnen des Festivals bilden einen Halbkreis, wobei die Hauptbühne (die beeindruckende Orange Stage) das Zentrum markiert. Rund um das offizielle Festivalgelände befinden sich diverse Zeltplätze, welche klingende Namen wie Rising City, Dream City, Countdown City oder Street City tragen und die unterschiedlichen Bedürfnisse der Besucher abdecken. So wird die East City, welche inoffiziell auch Teenage Wasteland oder je nach Quelle War-Zone genannt wird von meist jugendlichen Besuchern bewohnt, die Dream City von langjährigen Besuchern während mehreren Monaten zu einer eindrücklichen Stadt aus Holzgebilden und wummernden Bässen erbaut wird, und die Rising City ist der Ort, wo Gäste dank der ruhigen Nachbarn den nötigen Schlaf finden. Die Besucher des Festivals und jene, welche «nur» fürs Campingerlebnis ans anreisen, lassen das Roskilde während 8 Tagen zu Dänemarks viertgrössten Stadt werden.

Photo Credits: Jérémie Dubois

Das eigentliche Festivalgelände ist weitläufiger als wir uns das von Festivals in der Schweiz gewohnt sind. Der Zeitaufwand, um von einer Bühne zur anderen zu gelangen, bleibt jedoch überschaubar. Dies vor allem, weil das Gelände übersichtlich gestaltet ist und der Besucherstrom zu keiner Zeit ins Stocken gerät. Zu grosszügig sind die Flächen zwischen den Bühnen, Bars, Verpflegungsständen, Sanitäranlagen und diversen Kunstinstallationen, welche das Gelände prägen, angelegt. Apropos Sanitäranlagen: Davon hat es überdurchschnittlich viele. Und wer sich keine fünf Minuten in die Schlange stellen mag, erleichtert sich am nächsten Baum, Absperrgitter oder was sonst in Reichweite ist. Was urinieren anbelangt, da sind die Dänen äusserst grosszügig unterwegs. Das gilt sowohl für männliche wie auch weibliche Festivalbesucher. Und apropos Bars: Die bleiben während Konzerten stumm und die Verpflegung, die ist abwechslungsreich, mehrheitlich gesund, auf Wunsch nahrhaft, und ausnahmslos überaus geniessbar. Zudem: Was am Ende des Festivals an Verpflegung überbleibt, wird an gemeinnützige Vereine gespendet. Wie könnte es auch anders sein.

Das Line-up des 8-tägigen Festivals umfasste satte 179 Acts und verlangte den Besuchern ein optimales Zeitmanagements ab und auch, dass zu Gunsten der einen hochkarätigen Band auf die andere nicht minder hochwertige verzichtet werden musste. Mitunter waren am diesjährigen Roskilde Festival Damon Albarn & The Orchestra of Syrian Musician, Odesza, Santigold, Courtney Barnett, PJ Harvey, Blood Orange, Chvrches, Foals, Mac Demarco, Tame Impala, M83, James Blake, MØ, New Order und LCD Soundsystem zu hören, um nur einige zu nennen, welche live in vollen Zügen überzeugt haben. Nebst all den Grössen, welche das Programm jeweils ab 18h bis spät in die Nacht hinein dominierten, lud das Festival aber bereits ab Mittags zum Entdecken ein. Mit Kaffee in der Hand, Sonne im Gesicht und Whitney im Ohr, begann der Freitag wie aus dem Bilderbuch. Die junge Band verzückte das Publikum vom ersten Song weg mit Surfrock, Folk und Soul. Nebst den Jungs aus Chicago spielte sich u.a. auch ein junger Berliner in die Herzen (oder eher Beine) des interessierten Publikums. David August zog das schwere Los, gleichzeitig mit MØ und New Order, welche auf den beiden grossen Bühnen spielten, aufzutreten. Wer jedoch den Produzenten und DJ live erlebte, konnte den wummernden Bässen und filigranen Melodien nicht widerstehen. Anstelle grosser Worte über Whitney und David August zu verlieren, lassen wir für beide ihre Musik sprechen.


Das Roskilde Festival hat sich längst in die Herzen der Däninnen und Dänen gespielt. Oft verwiesen junge Festivalbesucher auf ihre Eltern, welche bereits in den Gründerjahren dabei waren. Andere Besucher – und das waren nicht wenige –  erlebten gar selbst, wie das Festival in den letzten Dekaden gross und international geworden ist. Was bleibt ist jedoch das Orange-Feeling, welches die Zeit überstanden und sich den wechselnden Ansprüchen und Gegebenheiten angepasst hat. Und für uns, nebst dem obligaten Post-Festival-Blues, die Gewissheit, dass international relevante Grossanlässe nicht zwingend dem Kommerz geschuldet sein müssen und dass humanitäres Gedankengut durchaus Hand in Hand mit einem hoch professionellen, inhaltlich attraktiven und entspannt ausgelassenen Musikfestival gehen kann.
Photo Credits: Jérémie Dubois_MG_1297

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