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Event-Review: Montreux Jazz Festival 2021

Einzigartige Stage & tatsächlich Live-Musik

In Montreux erwacht die Schweizer Festivallandschaft wieder etwas zum Leben und will mit ausgeklügeltem Schutzkonzept, MJF-Fanlieblingen, Newcomern und einer ganz besonderen Bühne begeistern. Wie das gelungen ist, erfährst du in diesem Report. Von Lenard Baum

40’000 Besucher*innen zog es während den 16 Festivaltagen an den Lac Leman, hin zu Workshops, Award-Verleihungen und natürlich Konzerten. Eine Zahl die vor einem Jahr noch unmöglich schien, jedoch nicht vergleichbar ist mit dem prepandemischen Aufmarsch von rund 250’000 Besuchern, welche es sonst zur Genfer Reviera hinzieht. Wie die Jahre zuvor durfte man sich bekanntlich vom geschichtsträchtigen Festival-Namen nicht täuschen lassen. Ein reines Jazz Line-Up war kein Thema, konnte man mit Faber, Sophie Hunger, Hermanos Gutierrez, Altın Gün und vielen mehr auf einen wilden Mix aus Pop, Rock, Experimental und RnB freuen. Wobei der geheime Star des Festivals keine Musikerin oder Musiker war, wie Festivaldirektor Mathieu Jaton durchblicken liess.

Wir meldeten uns fürs Montreux Jazz Festival 2021 zurück direkt vom Lac le Leman mit reichlich Eindrücken; hier das schöne Logo, festgehalten von Jana Leu, liveit.ch.

Eine Bühne klaut den Musiker*innen die Show

So war es die Seebühne, welche besonders Lob bekam, gehörte sie zu den grossen Neuerungen der 55. Ausgabe des Festivals. Von Tauchern am Seegrund befestigt, ragte 39 Meter vom Ufer entfernt die neue Hauptbühne 520 Sitzplätzen entgegen. Ohne Frage bot die Bühne ein spektakuläres Bild. Schliesslich war es das Gesamtbild samt Live-Musik & Light-Show und der malerischen Kulisse des Lac Lemans das diese Bühne zu den beeindruckendsten verwandelte, die das Festival je gesehen hat. Als Zuschauer*in hatte man sowieso die Qual der Wahl; etwa zwischen Headlinder Woodkid mit 4D-Show oder Zucchero, welcher die Seelandschaft in die Amalfi Küste verwandelte. Mit etwas Glück untermalte ein Sonnenuntergang die eh schon malerische Kulisse nachdrücklich, besonders an den ersten Festivaltagen. Kein Wunder daher, dass sämtliche kostenpflichtigen Shows restlos ausverkauft waren. Denn auch die zweite kostenpflichtige Stage im 5-Sterne-Hotel Montreux Palace konnte sich mit seinem mit Fresken und Malerei verzierten Saal sehen lassen.

Hermanos Gutierrez auf der neuen Seebühne am 55. Montreux Jazz Festival am 4. Juli 2021. (liveit.ch / Jana Leu)

Musik, Champagner und Regengüsse

Dies galt ebenso für die vielen Bühnen mit Gratis-Shows, welche draussen wie auch im Montreux Palace angesiedelt waren und wo Wert auf aufstrebende Schweizer MusikerInnen gelegt wurde. So begrüssten wir etwa unsere Interview-Freunde von Black Sea Dahu (letztjähriges Interview hier nachzulesen), oder Gaspard Sommer, welcher mit seinem neuem Album brillierte, oder die Genfer The Green Flamingos, welche schon in Frankreich bereits auf sich aufmerksam machten.

Doch neben der Musik gibt es bekanntlich auch andere wichtige Sachen im Leben, etwa wenn der Magen grummelt. Dann konnte man sich auf dem gesamten Gelände auf ausreichende Verpflegungsstände freuen. Wobei es in Montreux-Manier Champagner im Palace gab und draussen die etwas preisgünstigere Variante mit feinem Street Food. Leider mussten die Street-Food-Wagen ein paar Tage aussetzen, genauso wie die Seebühne, da das Wetter nicht ganz so mitspielte. Die fast flutartigen Regengüsse im Juli gingen nicht einfach so an Montreux vorbei, wodurch so manches Konzert noch schnell ins Sterne-Hotel verlegt werden musste. Den Spass und die Freude am Spielen liessen sich Veranstalter*innen wie Musiker*innen nicht nehmen, sozusagen gegen alle Widrigkeiten.

Ob vegetarisch oder mit Fleisch vom Grill: Auch Kulinarisch fand sich praktisch für jeden Geschmack am Montreux was. (liveit.ch / Jana Leu)

So ganz kam man ums Thema nicht herum

So wären wir letztlich beim Thema «Allen Widrigkeiten zu Trotz» angelangt: Denn, wie lief das Ganze eigentlich mit Corona? Schliesslich mussten Fans noch vor dem angekündigten Start enttäuschende Nachrichten entgegennehmen: Alle UK-Künstler, darunter Headliner Rag’n’Bone Man sowie Inhaler, Alfa Mist und Yussef Dayes mussten aufgrund der ausbreitenden Delta-Variante und den dadurch strengeren Einreiseregeln absagen. So wurden zwar die leeren Slots würdig durch die anderen Headliner wie Woodkid und Zucchero aufgefüllt, doch vielen wurde so das Virus und die gesundheitliche Lage wieder unmittelbarere vor Augen geführt. So sehr wir uns auf Live-Musik freuten, es galt stets abzuschätzen.

Am Festival selbst hatten sich Veranstalter*innen und Gesundheitsämter jedoch zusammengetan, um ein überzeugendes Konzept auf die Beine zu stellen. Wer Zutritt zu den Gratiskonzerten und dem Festival-Areal wollte, der musste vorab reservieren. Dabei wurde sehr viel Wert daraufgelegt, für die Bestuhlung und Platzierung genug Abstand zu bieten. Da dies bei den bezahlten Konzerten mit den grösseren Bühnen weniger gut möglich war, musste man dort ein COVID-Zertifikat oder Negativ-Test vorweisen. Wer jetzt wütend aufschnauft und die Benachteiligungs-Glocke läuten will, denn gilt es zu beruhigen. So baute man zwischen den Bühnen in zwei Zelten ein Antigen-Schnelltest-Zentrum auf. Dieses erlaubte einen zwar nicht schnell in den Urlaub zu fliegen, doch – nach kurzer Wartezeit und Wattestäbchen in der Nase – immerhin den gewünschten Zutritt zu den Konzerten, ohne Maske oder Abstand – alles gratis notabene. Ein kleiner Preis, um wieder Livemusik mitzuerleben, wie wir finden.

Mathieu Jaton präsentiert die Seebühne vor Publikum – alle getestet oder vollständig geimpft. (liveit.ch / Jana Leu)

Mehr als ein Minus Festival

Doch die COVID-Änderungen brachte für Montreux auch so manch interessante Neuerung, ermöglicht durch neu geschlossene Partnerschaften. Um Zuschauer, die nicht anreisen konnten, das Jazz Festival trotzdem näher zu bringen, fand man mit Qello Concerts by Stingray sowie Play Suisse geeignete Partner für Streaming-Inhalte. 21 Live-Konzerte konnte man über Stingray an selbigen Abenden mitverfolgen. Während man mit Play Suisse ein Blick in die Vergangenheit zurückwarf und rund 40 der besten Konzerte der letzten Jahre wieder erleben konnte – inklusive James Brown Nina Simone.

Für Besucher vor Ort konnte man sich ebenso auf die gratis zugängliche Bühne Les Jardins freuen. (liveit.ch / Manuel Lopez)

Dass man in der Kulturbranche nach dieser Zeit zusammenhalten möchte, zeigt die neue Kooperation mit dem Zürich Film Festival auf, welches drei ausgewählte Filme zeigte und Zuschauer*innen ein Live-Interview mit Ray Parker Jr. bot. So war Montreux auch dieses Jahr mehr als ein reines Musikfestival. Es verstand sich als wichtiges Zeichen der Schweizer Kulturbranche und der Region am See, wie wir im Gespräch mit Verantwortlichen spürten. So war von Beginn weg klar, dass selbst bei einem komplett ausverkauften Anlass – was erreicht wurde – am Ende sicherlich ein Minus resultieren würde. Verständlicherweise sträubten sich also viele Veranstalter*innen verständlicherweise dieses Jahr ein Festival in jeglicher Form durchzuführen.

Faber, Sophie Hunger und Dino Brandao singen auf der Seebühne anlässlich der 55. Ausgabe des Montreux Jazz Festivals. (liveit.ch / Manuel Lopez)

Wie schön Live-Musik doch ist, bis zum nächsten Mal?

Ah, Montreux, gerne wären wir alle Tage geblieben. Den letzten Zug auf Bern, denn galt es aber nicht zu verpassen. Die ein oder andere Zugabe mussten wir daher ausfallen lassen, umso mehr begeisterten uns die zahlreichen Tage & Abende, die wir miterleben durften. Die Begeisterung und Freude, welche man seitens Künstler*innen wie auch Veranstalter*innen spürte, zog sich durch die Tage und zeigte uns wieder, wie schön Live-Musik sein kann.

So spielten die KünstlerInnen allen Unsicherheiten entgegen; etwa, ob der Song, den man seit zwei Jahren nicht mehr live performt hatte, noch sitzt. Oder die Gitarre, welche es dank Flieger nicht nach Montreux schaffte, die Show vermasseln würde. So unsicher man sich vor der etwas kleineren 55. Ausgabe des Montreux Jazz Festivals fühlte, umso sicherer gucken wir auf die weitere Zukunft des Festivals. Wir werden sicher auch nächstes Jahr wieder am Start sein, wenn die Lage es zulässt.

Noch nicht genug bekommen? Dann schau dir die Story-Highlights auf Instagram an und erlebe Festival Tag Nummer 2 nochmals in Bildern. Go check it out: @bewegungsmelder_bern

Infos

Alle Bilder des Artikels stammen vom Berner FotografInnen-Kollektiv Liveit.ch, welches euch mit den besten Bildern rundum Bern beliefert. Lässt doch einen Gruss da und guckt bei ihnen mal rein > liveit.ch

Do 22.07. 2021