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Metal Gear Solid V: The Phantom Pain

Das Spiel des Jahres? Des Jahrzehnts? Das beste Spiel aller Zeiten? MGS:V kämpft vor allem mit einem: Superlativen. Von Rico Plüss

Kenner der Serie überspringen diesen Absatz, allen anderen sei erklärt, dass die Metal Gear Serie von Hideo Kojima eine grosse, namhafte und schon sehr alte Game-Franchise ist, die über ein Dutzend verschiedene Spiele herausgebracht hat und eine riesige Fanbase hat. Der Status der Serie ist auch daran messbar, dass eine der Hauptfiguren (Snake) als spielbarer Charakter in der Super Smash-Reihe von Nintendo zu finden ist. Die Spielereihe ist dominiert von schleich- und actionorienterten Abenteuern, in der oft in zahlreichen Missionen gegen eine übermächtige Organisation angekämpft wird – mit Infiltration, Meucheln und Schleichen.

Jedes neue Solid-Game der Reihe wird mit Hochspannung erwartet und beim Erscheinen jeweils mit viel Medientamtam begleitet – ‚The Phantom Pain‘ macht da keine Ausnahme. Im Vorfeld überboten sich die Magazine mit Höchstwertungen und als Anfang September das Game tatsächlich erschien, waren die Erwartungen in der Gamewelt immens. Konnten diese gehalten oder gar übertroffen werden? Wir gehen auf die Suche nach einer Antwort.

Metal Gear Solid V The Phantom Pain

Als gealterter Snake führt man den wortkargen Protagonisten durch zahlreiche Missionen, um einer Verschwörung von epischem Ausmass auf den Grund zu gehen. Das sensationelle daran? Wie man die Missionen löst, ist zu weiten Teilen völlig dem Spieler/der Spielerin überlassen. Mit Raketenwerfern und Granaten alles dem Erdboden gleichmachen? Kein Problem. Genauso ist es möglich, das Level zu spielen ohne einen einzigen Alarm auszulösen. Eine Mischung aus beiden Stilen ist (manchmal nicht anders) möglich; so hat der Autor oft versucht, die Mission so lange wie möglich unentdeckt zu spielen. Wird eine Wache dann doch auf einen aufmerksam, so hat man in einem Slo-Mo-Modus kurz Zeit, diese unschädlich zu machen und weiterzuschleichen. Klappt das nicht, so ist dann nicht selten urplötzlich der Teufel los. Der zuvor noch so ruhige Aussenposten wird überflutet mit Lärm, Licht und herbeiströmenden Wachen. In all dem Trubel gilt es, einen kühlen Kopf zu bewahren.

Einfacher gemacht wird dies mit unzähligen Helfern und guten Gameplay-Ideen. Sind einem in der Mission die Betäubungspfeile ausgegangen, lässt man sich vom HQ per Fallschirm neue senden. Zudem stehen ab einen bestimmen Zeitpunkt verschiedene Buddys zur Verfügung, die den Spieler/die Spielerin tatkräftig unterstützen.

Intermezzo: Quiet
Eine der Supportfiguren ist ‚Quiet‘, eine praktisch kleiderfreie hübsche Dame, die als Sniper von Ferne den Wachen das Licht ausknipst. Auch bei Regen und Kälte ist die gute Dame im Tanga und Bikini unterwegs und in den Zwischen- und Ladesequenzen wird schnell klar, wohin die Spieleentwickler den Blick hinlenken wollen. Grandioserweise hat das Mastermind hinter der Spielreihe und Chefentwickler Kojima, als berechtigerweise die erste Empörung über die offensichtlich sexuelle Inszenierung einer weiblichen Spielfigur laut wurde, dazu vermerkt, dass man im Spiel selbst erfahre, warum sie denn so leicht bekleidet sei, und wenn man dies erfahre, so werde man sich ob seiner Empörung schämen. Der Grund für die Nacktheit? Wegen einer Genmutation atmet Quiet durch die Haut, muss also möglichst wenig tragen um funktionsfähig zu sein. Selten war die Ausrede für ‚Sex sells‘ schlechter und glücklicherweise hat die Gamewelt Kojimas Begründung mit Spott und Amüsement zur Kenntnis genommen.

Weiter im Text
Glaubt man Steam, so hat der Rezensent bereits über 60 Stunden Metal Gear Solid V gespielt- und dabei die Hauptkampagne noch nicht annähernd beendet. MGS:V ist aber kein Spiel, das nur gespielt werden kann, wenn man sich mehr als 2 Stunden am Stück hinsetzt (wie das beispielsweise bei The Witcher 3 ansatzweise der Fall ist). Die 60 Stunden wurden damit verbraten, einfach so in der offenen Spielwelt herumzufahren, Aussenposten einzunehmen, Nebenmissionen zu lösen und die Basis zu managen. Es ist kein Problem, das Spiel kurz für 20 Minuten anzuwerfen, etwas Micromanagement zu betreiben, der Privatarmee ein paar Aufträge zu geben und danach wieder was anderes zu machen. Genauso aber ist es kein Problem, sich mit dem Helikopter von Nebenmission zu Nebenmission fliegen zu lassen, weil man den nächsten Gefangenen auch noch befreien will, und den nächsten feindlichen Soldaten auch noch „überzeugen“ will, ins eigene Lager zu konvertieren – und so weiter.

Die Story an sich ist zwar visuell wirklich gut inszeniert, der Plot hingegen mag nur mässig zu überzeugen. Ungewohnt wortkarg gibt sich der Protagonist (gesprochen von Kiefer Sutherland), wohl auch, weil es ihm ob der ziemlich hanebüchenen Storyline die Sprache verschlagen hat. Ist aber nicht weiter schlimm; angesichts des Umfangs macht die tatsächliche Geschichte nur einen kleinen Teil des Vergnügens aus.

In Openworld-Spielen passiert so manch kurioses.

Audiovisuelles
Auf einem PC, mit 1440p-Auflösung und allen Effektrieglern auf das Maximum (dabei zwischen 50 und 60FPS) ist das Spiel eine visuelle Wucht, an der sich im Moment alles daran messen wird. Die Zwischensequenzen werden in Echtzeit gerendert und hängen also von der Leistungsstärke des PCs (bzw. der Konsole) ab – beim Test-PC resultieren daraus Szenen, die einen selbst wortkarg werden lassen (ganz ähnlich dem Protagonisten). Nicht (nur) weil die Story so dümmlich ist, sondern weil die Inszenierung derer so unglaublich gut aussieht, dass einem das eine oder andere Mal ein leises „Holy shit“ über die Lippen kommt. Von der Physik über die Texturen bis hin zu den Lichteffekten, von der Mimik über die Körpersprache hin zur Weitsicht – MGS:V ist derzeit das Mass aller Dinge für Grafikenthusiasten.
Amüsantes spielt sich im klanglichen Bereich ab: Mit The Cure’s ‚Friday I’m in love‘, Aha’s „Take Me On“ und vielen anderen Achtziger-Hits mehr ist der Soundtrack zum Spiel passend zur seiner Ära (es spielt, nota bene, 1984). Während des Spiels lassen sich die Songs in den Levels ‚einsammeln‘ und stehen dann zum beliebigen Abspielen zur Verfügung. Mit dem Kampfhelikopter über eine gegnerische Festung donnern und dabei ‚Kids in America‘ donnern lassen? Kein Problem. Das voice acting an sich ist bis auf wenige, eher mühsame Nebencharaktere exzellent und die ganzen Soundeffekte im Spiel verleihen dem Geschehen eine Lebendigkeit, die zum hervorragenden Gesamteindruck beitragen.

Fazit
Als Rezensent ist es manchmal gar nicht so einfach, wenn einem mal wieder ein Riesenspiel in die Finger gerät. Die Gameszene lebt davon, Hypes und Flops in ähnlichem, grossem Ausmass zu zelebrieren und damit gehen dann auch die wirklich, wirklich guten Spiele unter. Unter im Sinne von: Die Wertschätzung des Handwerks und der Energie, die in hochqualitative Games fliessen, wird schnell abgelöst vom nächsten grossen Spiel. Die Branche ist schnellebig und manchmal auch unberechenbar – umso erfreulicher ist es, wenn sich ein Entwickler, in diesem Fall Kojima, die Zeit nimmt und ein Spiel abliefert, das seinesgleichen sucht. Ob man nun die Serie bereits kennt oder noch ein blutiger Anfänger ist – um Metal Gear Solid V: The Phantom Pain kommt man dieses Jahr nicht herum, im Gegenteil: Das Spiel wird sich am Ende dieses Jahres auf so manche Bestenlisten zuoberst wiederfinden. Völlig zurecht.

Sa 26.09. 2015