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Kolumne #8: Mann ohne Beinkleid

Bern-Berlin, this time with a bang! Von Moritz Marthaler

Wisst ihr, ich mag ja Silvester. Nicht den Schämpis, nicht die Bestenlisten zum Jahresende, nicht die Klubs (Preis > Wert), nicht den Tagesschau-Jahresrückblick („Das Jahr 2015 wird in die Geschichte eingehen.“ – Aha.), nein. Ich meine dieses ehrliche Gefühl des Beisammenseins, wenn alle so tun, alles geschähe gleich etwas unfassbar Bedeutsames. Ich find das toll, irgendwie, als Knirps glaubte ich lange Zeit noch, dass am 31. Dezember um Mitternacht alle wichtigen Männer und Frauen dieser Welt das neue Jahr starten müssten, und wenn man das denn vergässe, gehe es nicht mehr weiter. Mit diesem Gefühl ist es so eine Sache in Berlin. Es beginnt am Vorabend mit Böllern. Feine Sache. „Päng“ und dann meist noch ein zweiter Chlapf, so versetzt und so, Aufmerksamkeit garantiert. Dann der Einunddreissigste. Die ersten Raketen bei Tageslicht (das ist ein bisschen wie 3D-Kino ohne Brille, aber jedem das seine…), und dann, Stunde für Stunde stärker, geht der Wahnsinn los.

Wenn einem dann so die erste Rakete am Boden durch die Beine zischt, stutzt man vielleicht, wenn der erste Böller vom Balkon den Arm streift, zuckt man zusammen. Spätestens um Mitternacht aber herrscht auf den Strassen eine Stimmung wie im Krieg. Es ist seltsam. Vernünftige Menschen wie Du und I…, wie Du schmeissen wie von Sinnen mit Feuerwerk um sich. Mitten in der Menschenmenge. Das Erschreckende an den Vorfällen in Köln war ja nun wirklich nicht das Feuerwerk, aber hier wäre eine #einearmlaenge für einmal tatsächlich angebracht. Und wann immer Menschen dann auf die Idee kommen, von einem ebensolchen Arm eine Silvesterrakete für 20, vielleicht 30 Euro zu zünden, die dann am nächsten Brückenpfeiler zerschellt, stellt sich eben doch die Frage: Dumm oder nur als dumm getarnt?

Es gibt ja weissgott wichtigeres, und trotz allem glückte dann der Aufbruch ins neue Jahr nach Mass, niemand vergass es zu starten. Einige Tage später fiel sogar Schnee (ja, draussen auf der Strasse, nicht nur im Berghain) wir hatten gegen zehn Grad minus, und an meiner U-Bahn-Haltestelle begegnete ich einem Mann ohne Beinkleid. In dieser Stadt vermag einem so etwas kaum zu beeindrucken, ich dachte mir nichts weiter, bis ich in den Zug einstieg, mich setzte und mir mit meiner Hose plötzlich richtig nackt vorkam. Wie konnte ich das vergessen? Vergangenen Samstag trafen sich jung und alt, Männlein und Weiblein gleichermassen zum „No Pants Subway Ride“. Was klingt wie eine dieser Bands, die auf unerklärliche Weise Geld für schlechte Musik kriegen, ist eine urbane Erscheinung, die vor etwa zehn Jahren aufkam – überraschenderweise in den USA. Heute wird in über 60 Städten weltweit geflitzt. In Berlin spielt man den Verkehrsbetrieben von der BVG damit noch in die Publicity-Karten. Hatten sie doch erst im November mit ihrem Werbefilm „Is‘ mir egal“ einen veritablen Youtube-Hit – Motto: du kannst in der U-Bahn tun und tragen was du willst, solange du ein Ticket kaufst. Beweisstück unten, Anspieltipp: ab 1:15. Ich sag‘ nur: Abstand #einearmlaenge, auch beim Schwarzfahren!

 

Infos

Zur Kolumne: Moritz Marthaler, Berner Sportjournalist, entdeckt die deutsche Metropole Berlin für sich. Gleichzeitig schielt er auf das Geschehen in der Bundeshauptstadt Bern, manchmal auch auf den ambitionierten, aber öfter erfolglosen Berner Grossklub BSC Young Boys. Bern ist der Ausgangspunkt für Annäherungen und Schwenker auf Berlin und seine unendlichen Ausgehmöglichkeiten, zusammengewürfelte Bevölkerung, launischen Zeitgenossen und tausend Eigenheiten.

Di 12.01. 2016