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Kolumne #5: Geschwisterliebe

Bern-Berlin zum Fünften. Diesmal todernst, mit Politik und so. Von Moritz Marthaler

Zur Jubiläumsausgabe der BM-Kolumne habe ich mir ausnahmsweise mal Gedanken gemacht. Klar, einerseits dazu, dass ich für weitere fünf Ausgaben angestellt worden bin, andererseits über Deutschland und die Schweiz. „Deutschland ist eigentlich ein grosser Bruder“, sagte Simonetta Sommaruga, diese Schnürchenschrift unter den Bundesräten, mit ihrer dünnen, hohen Stimme, „aber am heutigen Tag, da sind die Schweiz und Deutschland Schwestern.“ Einmal abgesehen vom Gender-Wirrnis war das doch ein netter Satz, und daneben stand Angela Merkel, diese Steinschrift unter den Politikerinnen, da standen sie und lachten. Es war ein Staatsbesuch in Bern, Anfang September, und es war so ein Wetter, wie es in japanischen Wohnzimmern von den Postkarten strahlt, Ehrengarde, Handshake, und all der Kram. Doch ein Schwesternpaar gaben die beiden beim besten Willen nicht ab. Ich meine, come on, eine gelernte Konzertpianistin, zierlich, im weissen Kleid und eine promovierte Physikerin, leicht untersetzt, im blassblauen Hosenanzug , das sind Stiefgeschwister, im besten Fall. Steuerstreit, Bankgeheimnis, Flüchtlingspolitik – nirgends werden sie sich einig. Und selbst wenn: so einfach ist es nun mal nicht.

Es ist anders, verwirrender. „Es ist kompliziert“, würde Facebook sagen. Die Schweiz will doch nicht deutsch sein. Sie ist ja total multinational, voll oder, daran muss erinnert werden, ständig, und abgrenzen tut not. Von Frankreich, von Italien. Und natürlich von Deutschland. Doch warum? Die Deutschschweizer schauen doch alle ARD und ZDF (ohne dafür zu bezahlen…), und heute spielen die sogar in der Bundesliga mit. Die gehören doch ein wenig dazu, die nehmen Teil am Diskurs.

Zu wenig, wie ich finde. Man könnte doch ein wenig nachhelfen. Man könnte die OSZE (Organisation für schweizerische Zuneigungsförderung in Europa) gründen und ein Programm mit dem Namen „Bern-Berlin: Ent-Rösti-gmatisieren“ ins Leben rufen. Die ersten Massnahmen würden bald schon im Bundestag abgesegnet, Projektleiter Ottmar Hitzfeld würde stolz und in rot-weiss gewandet verkünden: „Ein kurzes Sätzli für mich, ein grosser Schritt für die Diplomatie.“ Die Schweizer Armee ersetzte ihre Sturmgewehre durch Modelle von Heckler & Koch, die bisherigen Waffen würden wie bei jeder Armeerevision nach Syr…ehm, sicher verwahrt. Mercedes rüstete in einer Aktion beispielloser Grosszügigkeit alle Flüchtlinge in der Schweiz mit einer S-Klasse aus – es sind ja auch nur soviele, wie in Deutschland während Merkels Kaffeepause ankommen. Im Gegenzug gäbe Projektbotschafter Roger Federer den Kindern von Boris Becker Tennisunterricht (man müsste dann halt zwei Gruppen machen). Und der Orangensaft am Zürcher Seeufer würde neu statt 12.60 nur noch 4.20 Franken kosten – auch Touristen aus Deutschland sollen sich wieder wohlfühlen.

So könnte man das machen, und im Fussball natürlich, im Fussball ist diese Annäherung schon viel weiter fortgeschritten. 22 Schweizer in der Bundesliga, dazu 18 Österreicher, ein Dreiländereck sozusagen. Am 23. Dezember steigt im Stadion von Union Berlin das traditionelle Weihnachtssingen. Fast 30 000 Menschen singen dort während 90 Minuten – eine Schweizer Chorfraktion, vorzugsweise die Capos jeder Schweizer Ultrakurve – würde den Integrationsbemühungen gut anstehen.

Sommaruga und Merkel übrigens treffen sich schon bald wieder. Protokollsprache ist Englisch, sicherheitshalber.

Infos

Zur Kolumne: Moritz Marthaler, Berner Sportjournalist, entdeckt die deutsche Metropole Berlin für sich. Gleichzeitig schielt er auf das Geschehen in der Bundeshauptstadt Bern, manchmal auch auf den ambitionierten, aber öfter erfolglosen Berner Grossklub BSC Young Boys. Bern ist der Ausgangspunkt für  Annäherung und Schwenker auf Berlin und seine unendlichen Ausgehmöglichkeiten, zusammengewürfelte Bevölkerung, launische Zeitgenossen, tausend Eigenheiten.

Di 13.10. 2015