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Kolumne #14: Bier aus grossen Flaschen

Bern-Berlin zum Letzten. Von verlorener Übersicht, Hectors Fehlschuss und der letzten Zugfahrt. Von Moritz Marthaler

In Berlin war Sommer und somit Zeit für alles andere als Abschiede. Wie das so ist in einer grossen Stadt zu dieser Jahreszeit, hatten die Menschen keine Zeit für Horizont, für das grosse Ganze, es zählte mehr der Moment, das Leben an sich. Brexit, die Euro, Istanbul, das alles spielte nicht nur mehr so in der Ferne, es drang auch seltsam gedämpft nach Berlin, nicht durch eine rosarote Brille, nein, eher so durch eine grau-schwere Decke, ja, denn Berlin ist zwar sexy, aber viel zu arm, um abgehoben zu sein.

Die Menschen also, sie tranken Bier aus grossen Flaschen und schauten aufs Wasser und sprachen über ihre Stadt in ihrem Sommer. Klar, man vermochte sich durchaus zu freuen nach dem letzten Elfmeter Deutschlands, der so langsam und hölzern unter dem italienischen Torwart hindurchkullerte, wie später die Tränen über die Gesichter der bärtigen, stämmigen Männer, denen man so gerne eine Schulter, einen Arm geboten hätte in diesem Moment. Und jene, für die die freudentanzende Mondschattennadel des Fernsehturms auf der Spree noch nicht kitschig genug war, die wünschten sich ja eigentlich insgeheim, dass Jonas Hector diesen Schuss neben das Tor gesetzt hätte. Denn dann wäre wohl Manuel Neuer angetreten. Gegen Gianluigi Buffon. Der Inbegriff von Dramatik. Der Gipfel des Heldentums. Ein Duell, das kein Kommentator, kein Journalist, kein Experte je hätte gebührend beschreiben können, es hätte für sich allein eine neue Textform erschaffen.

Aber lassen wir das. Denn wie erwähnt, nicht alle klebten an diesem Sommerwochenende vor dem Fernseher, respektive der Grossleinwand, viele waren auch mit sich selbst beschäftigt. Sie trafen sich dafür vielleicht auf der Pferderennbahn unten in Mariendorf zum Saisonfinale der Trabrenner, die einen werden wie immer direkt zu den Ständern mit den Wettscheinen gegangen sein, andere, unerfahrenere werden sich für 2 Euro 60 ein Programmheft gekauft haben. Der eine oder andere Nostalgiker wird über diesen wunderlichen Sportbau sagen, das sei der Ort, wo die Welt noch in Ordnung sei. Was stimmt ist, dass das Mineralwasser teurer ist als das Schultheiss vom Fass hier, und dass „Flash di Quattro“ gewinnt, obwohl doch eigentlich „Jacaranda“ mit dem Vermerk „neuartige Hufpflege“ quotenbestes Pferd war. Es ist hier, wo Männer mit grauen Bartstoppeln und langen Mänteln und Schlapphüten ihr Geld auf den Wetttresen knallen, als hätten sie zu Hause noch jede Menge davon.

Das ist nicht immer nur witzig. Ihr seht, es war nicht die Zeit für Abschiede. Doch wie das mit meinem ausserordentlichen Gespür für den richtigen Moment halt so ist, bestieg ich am Montagmorgen einen Zug, der mich wegtrug aus dieser Stadt. Ich kam ins Grübeln und dachte nach und fand irgendwann, dass die grosse Stadt gar nicht unbedingt so viel hektischer sein muss als die kleine Stadt. Dass das alles ziemlich beiläufig vonstatten geht, dieses Grossstadtleben, nur eines muss man bereit sein, abzugeben: die Übersicht. Dann läuft dieser Motor, man gewöhnt sich ans ständige Gewimmel, das auch gar nicht laut, nicht aufreibend sein muss. Hier mal am Arm gestreift, niemand dreht sich um, niemand hat was gesehen, alles geht weiter. Es passiert so viel in dieser Stadt, es ist ganz normal, dass man nicht alles wissen kann. Entsprechend  hat das gedauert, bis ich mich gehen liess. Aber dann wars ziemlich angenehm.

Und dann war ich plötzlich in diesem Zug, irgendwann fuhr der in Bern ein und ich war entsetzt, weil ein paar Fassaden anders und ein paar Baustellen mehr waren, als beim letzten Mal. Soviel dazu.

Bern-Berlin ist zu Ende, es ist jetzt eher ein Bern-Berlin-Bern. Schön, warst du ab und zu mal dabei. Bis bald in Bern. Man sieht sich, man streift sich.

Infos

Zur Kolumne: Moritz Marthaler, Berner Sportjournalist, entdeckt die deutsche Metropole Berlin für sich. Gleichzeitig schielt er auf das Geschehen in der Bundeshauptstadt Bern, manchmal auch auf den ambitionierten, aber öfter erfolglosen Berner Grossklub BSC Young Boys. Bern ist der Ausgangspunkt für Annäherungen und Schwenker auf Berlin und seine unendlichen Ausgehmöglichkeiten, zusammengewürfelte Bevölkerung, launischen Zeitgenossen und tausend Eigenheiten.

Bild: Bundesarchiv Berlin.

Di 05.07. 2016