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Kolumne #11: No sex before Wedding

Bern-Berlin, oder diesmal: Bümpliz-Wedding. Ein Stadtteil, schön wie Hulk Hogan. Doch wie wir wissen zählen die inneren Werte. Von Moritz Marthaler

Einreden und glauben.  Das Erfolgsrezept der modernen Zivilisation. Religion, Liebe, Politik, Schönheit, Jugend, die Qualität von eigentlich mittelmässigen DJs, das Gewissen, Mate mit Jägermeister, Mario Gomez, Lucky Strike ohne Zusatzstoffe, die Slimline von Migros, Kaffee von Max Havelaar  – viel, sehr viel funktioniert nach diesem Prinzip.

Und so reden in Berlin alle von Kreuzberg und Prenzlauer Berg, vom Görlitzer Park und der Eberswalder Strasse, vom Kottbusser Tor und der Schönhauser Allee. Von Orten in Bezirken, wo Wohnen bald 18 Euro pro monatlichen Quadratmeter kostet, wo dafür die halbe Welt zusammen singt und lacht und tanzt und keiner arbeiten muss, niemand, wo alles nur Spass ist, pures Vergnügen, eitel Sonnenschein, oder zumindest eitel Schein. Und alle glauben dann, es sei besser so, es sei besser dort.

Niemand redet vom Wedding. Auch nicht die 83 000 Menschen, die hier leben. Vielleicht ranzen sie einen manchmal an, spätnachts, wenn man aus der Kneipe kommt, ob man auch hier geboren sei, wie sie, und hier lebe, wie sie, und hier sterbe, wie sie es dereinst zu tun gedenken. Das kann man gefahrlos verneinen. Niemand spielt so lustvoll und harmlos mit seinem harten Image, wie ein Jung vom Wedding. Der Charme ist roh, nichts neues in Berlin, doch wenn der Friseur (Erstberuf: Maschinenbauer) mit der Schere schnippelt und im Ton von „Was schaust Du meine Schwester an ey??“ fragt: „was kriegst Du, Grosser?“, zwei Sekunden brutal starrt und schliesslich laut zu lachen anfängt, dann hat das was ganz Eigenes, Herzerwärmendes, irgendwie.

Ja, die Leute gucken manchmal schräg hier. Aber nie bewusst, es ist so etwas wie der normale Anstrich, der modus operandi. Ich sag‘ ja ab und zu noch gern „Quartier“ statt „Bezirk“ oder „Kiez“, mit so einem „u“ wie in „Kuh“. Das bringt mir dann meist ein Lächeln ein, mal ein mitleidiges, mal ein aufrichtiges. Im Wedding freut man sich noch an Auswärtigen. Ich fühle mich geschätzt hier, jetzt, da ich endlich die Sprache dieses Quartiers.. äh Bezirks kenne. War irgendwann irgendjemand irgendwem irgendwie dankbar dafür, dass er in Kreuzberg wohnte? Oder in Neukölln? Oder in Mitte?

„Multi-Kulti“, so rühmt sich ja mittlerweile warscheinlich sogar das Kirchenfeld, aber dieses Etikett ist hier anders zu verstehen. Neulich bei der Strassenküche meines Vertrauens, ich wischte noch Spuren von Rindfleisch-Taco mit Guacamole von Nase und Hose, fragte der Inder grinsend, obs geschmeckt habe. Ja, und wie! Wie denn die mexikanische Klasse in die Küche komme? Der Koch aus Bangladesch, auch er ein Hindu, lacht, hackt fröhlich weiter Rindfleisch und zuckt mit den Schultern. So true.  

Über dem Bolzplatz, wo die Boateng-Brüder ihre ersten Schritte gemacht haben, steht in riesigen Lettern „gewachsen auf Beton“. Hässlichkeit ist hier Programm. Dreckig, nachts dunkel, laut. Die Menschen hier fahren Auto, als wären sie in Kairo, in Jakarta oder Deli. Der Fluss, der durch den Wedding fliesst, bleibt fast stehen vor Dreck.

Auf eine Hauswand an der Bezirksgrenze hat jemand einen Geistesblitz verewigt. „No sex before Wedding“, steht da. Das habe ich mir in den letzten Wochen immer und immer wieder eingeredet. Bis ich es glaubte.

Mir gefällt es hier.

 

Infos

Zur Kolumne: Moritz Marthaler, Berner Sportjournalist, entdeckt die deutsche Metropole Berlin für sich. Gleichzeitig schielt er auf das Geschehen in der Bundeshauptstadt Bern, manchmal auch auf den ambitionierten, aber öfter erfolglosen Berner Grossklub BSC Young Boys. Bern ist der Ausgangspunkt für Annäherungen und Schwenker auf Berlin und seine unendlichen Ausgehmöglichkeiten, zusammengewürfelte Bevölkerung, launischen Zeitgenossen und tausend Eigenheiten.

Foto: Andre K., http://www.fotocommunity.de/pc/pc/display/33160176

Di 12.04. 2016