Bern-Berlin zum Zehnten. Diesmal mit dem Urin, der wach macht, Begleitkilogramm und Strähnchen. Von Moritz Marthaler
Neulich war Urlaub. Am Strand in Südamerika, der Sand rieselte durch meine Finger und die Zeit so vor sich hin, sehnte ich mich zwischen zwei Bier nach einer Erfrischung. Nach zwei Schlucken Mate dachte ich an meine Heimat in der Fremde, an Berlin zurück und an den seltsamen Umstand, dass dort eigentlich jeder Mate trinkt, obwohl zusätzliche Erfrischung den allergrössten Teil des Jahres nun wirklich nicht nötig ist. Es ist eine eigentümliche Entwicklung, das Geschäft mit der gelben Brause in der deutschen Hauptstadt. Im Rest der Republik runzelt man bei „Mate?“ vor allem die Stirn, während in Berlin pro Jahr mehr als 10 Millionen Flaschen über den Ladentisch gehen. Marktführer „Club Mate“ hat längst Konkurrenz bekommen: die lustig-bauchigen Buddeln von “Mio Mio Mate”, die koffeinlastige Variante von “MateMate”, das pseudo-indigene Gesöff von “Ultichá”. Doch die Geschichte der Pioniere von “Club Mate” ist anders, nicht nur speziell, sondern auch ungebremst erfolgreich und natürlich kommt auch diese Geschichte nicht ohne Legende aus. 1923 bereits soll das Rezept vorgelegen haben, irgendwo in Mittelfranken, weitab von Berghain und Bartwachs, von Undercut und Underground. Der Nabel der deuschen Matekultur lag in Dietenhofen, Braumeister Hans Sauernheimer verkaufte dort ein Erzeugnis namens “Sekt-Bronte” – allerdings ziemlich erfolglos. Irgendwann wurde es dem Sauernheimer Hans zu dumm, Rezept und Patent wechselten zur Bierbrauerei Loscher. Das war 1994, und bald darauf machte die Mate ihren Weg nach Berlin, ein findiger Händler in Friedrichshain hatte sie plötzlich im Sortiment. Der Rest ist Geschichte, eine ziemlich irre sogar, die noch immer weitergeschrieben wird. 2011 erreichte der Hype um den gelben Wachmacher seinen vorläufigen Höhepunkt, als auf einer Hackerconvention fast 10 000 Flaschen wegeskaliert wurden. In Mittelfranken war man ob des Ansturms so überrascht, dass zwischenzeitig gar “Matecalypse” herrschte und Mate in den Berliner Sommermonaten nur noch unter der Hand zu bekommen war. So hip, so exklusiv.
Später, ich war mittlerweile im Flugzeug von West nach Ost und notierte meine Gedanken auf die Kotztüte des Nachbarn (leer), dachte ich mir, dass es wahrscheinlich genau jene pirateske Entstehungsgeschichte ist, welche dieses simple Getränk so populär macht. Ich wechselte die Richtung und flog von Süd nach Nord, vor mir sagte Gesine (57) auf ihrem Jungfernflug zu Manfred begeistert “Schau mal” und liess sich und ihre 120 Begleitkilogramm zehn Sekunden nach Take-Off in die verstellbare Rückenlehne fallen, während ich den Sportteil aufschlug: Sascha Lewandowski, Trainer bei Union Berlin, hat ein Burnout erlitten. Die bösere von den beiden Synapsen in meinem Kopf rief geistesgegenwärtig “Mate!”, ich spülte sie mit Rotwein weg. Um die heissgeliebte Union ist es momentan in der Tat nicht gerade gut bestellt. Lewandowskis Nachfolger war ob seiner Nomination derart überrascht, dass er seinen Trainerfortbildungskurs nicht mehr verschieben konnte, jetzt hat auch er einen Nachfolger.
Bizarr, die Verstrickungen in unserer Geschäftswelt. Ja, die liebe Arbeit. Sie ist schon sehr zentral bei uns, ging es mir so durch den Kopf, während ich mich Mitteleuropa – dem Epizentrum masochistischer Erwerbstätigkeit – unaufhaltsam näherte. Zur Ablenkung studierte ich Gesines graue Stoppelfrisur, die kunstvollen Mèches (ja, im grauen Haar), nahm ich indes nur am Rande wahr, weil mich eine weitere Meldung in den Sportspalten in ihren Bann zog. Die Young Boys stehen auf der ewigen Rangliste des Schweizer Fussballs auf Rang 2. Gesines Strähnchen kräuselten sich unter Manfreds bebenden Lachwellen. In Ermangelung eines Newsgehalts legte ich die Zeitung weg.