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Im Gespräch mit Vincent von Provinz

Von Sportplatz, Amerika und Fifa

Vom Dorf auf die grosse Bühne. Für vier Jungs aus der Provinz wurde das wahr. Hier ist Name Programm: Mit Frontmann Vincent Waizenegger sprach man über ihre Heimat Vogt, das neue Album «Wir bauten euch Amerika» und über den Major-Label-Deal. Von Lenard Baum

Es ist die Zeit von Covid-19, also Zeit für telefonische Interviews. Abstand muss schliesslich gewahrt werden und der Auftritt der Jungs wurde eh abgesagt. Statt Vincent, Robin, Moritz «Mosse» und Leon live zu treffen nun also auf einen Anruf warten. Vieles haben die drei Cousins und Freund Leon in kurzer Zeit geschafft. Die erste Tour steht an, ein wilder Festivalsommer, Konzerte in Zürich und an der Winterthurer Musikfestwoche und das «dank» Covid-19 verschobene Album «Wir bauten euch Amerika» erscheint endlich. Da klingelt schliesslich das Telefon schon, nach ein paar Aufnahmeschwierigkeiten und Bluetooth-Kopfhörern, die sich ungewollt verbinden, stand dem Interview nix mehr im Wege.

BM: Vincent, schön, dass du es dir einrichten konntest. Man könnte schreiben, ihr habt eine wilde Aufsteigergeschichte hinter euch. 2017 gegründet, 2019 dann der Plattenvertrag bei Warner und jetzt noch das erste Album mit fast vollständig ausverkaufter Tour. Wenn man da mal zurück geht: Gab es einen Punkt, wo euch klar wurde, dass das was Grosses mit der Band wird?

Vincent: Geträumt haben wir schon lange von so etwas, Mosse vor allem. Ich wollte das anfangs gar nicht hören. Geschichten wie «Wir machen das», «Dann kommen wir ganz gross raus» oder «Spielen eigene grosse Konzerte». Es ist schon immer mein Traum gewesen, doch ausgesprochen habe ich es nie. Wenn ich Ziele zu hochstecke, dann bin ich nur enttäuscht, wenn sie nicht in Erfüllung gehen.

Zunächst ging es nach Mannheim zum Bandpool – ein Wettbewerb von grösseren Labels, um junge Musiker in Baden-Württemberg zu fördern -, um zu sehen, was sie von uns halten. Nach dem Vorspiel sind alle Labels auf uns zugekommen, manche sogar tief ins Kaff. Da haben wir uns angeguckt und bemerkt, das muss was Besonderes sein. Es war eine komische Situation, aber ich denke eine gute Bestätigung.

BM: Wirklich nicht gerade eine einfache Entscheidung, die man beim Unterschreiben eines Major-Label-Vertrags trifft. Seitdem ging es wild weiter für euch. Als Support bei Fil Bo Riva bis hin zur eigenen Tour.

Vincent: Es gab Momente, wo man spürte, das kann was werden. Letztes Jahr am Campus Festival Bielefeld, da kannte das Publikum die Texte und sang mit. Das war irre, ein Meilenstein und auch einer der besten Auftritte bisher. An dem Punkt dachte ich, schon gut, was da passiert.

BM: Euer Name kommt nicht grad von irgendwoher. Ihr kommt alle aus Vogt vor Ravensburg, halt wirklich aus der Provinz. Sag mir, für jemanden der noch nie da war, wie könnte man Vogt beschreiben?

Vincent: Es gibt zwei Hauptstrassen und daran erstreckt sich das ganze Dorf plus eine Tankstelle. Vogt ist gegenüber den umliegenden Dörfern schon ein Upgrade. Wir haben eine Tankstelle und einen grossen Sportplatz. Damit kann man schon punkten.

Es gibt immer diese Konkurrenz zwischen den Nachbardörfern. Zweimal pro Jahr kickt etwa Vogt gegen das umliegende Dorf. Wenn die dann in Vogt spielen, ist der grössere Sportplatz, allein wegen den Zuschauern ein grosses Ding. Fussball ist etwas, wo auf dem Sportplatz ganz viele Freundschaften angefangen haben bei mir. Wenn man hier gross wird, dann hat man nicht viele Freunde aber enge Freunde. Man fühlt sich gemeinsam etwas einsam und aussen vor. Da entwickelt man eine enge Bindung. Das ist schon etwas, was es in der Stadt weniger hat.

Die vier Jungs aus Vogt: Robin (Keyboard), Leon (Schlagzeug), Vincent (Gitarre/Gesang), und Moritz „Mosse“ (Bass). Von links nach rechts, Alle Fotos zvg.

BM: Das Dorfleben kennt man hier in der Schweiz auch gut. Wie wichtig der Sportplatz ist, weiss jeder Jugendlicher, von der Provinz bis zur Kleinstadt. Mir erging es auf jeden Fall ähnlich wie dir. Zum Thema Provinz: Ich bin auf ein schönes Zitat vom Schweizer Schrifsteller und Aphoristiker Emil Baschnonga gestossen, wo ich gerne deine Meinung zu hören würde; «Provinz. Wo man die Grenzen nur vom Hörensagen kennt.»

Vincent: Ich würde dem schon zustimmen. Es gibt keine Grenzen. Die Mama sagt nichts, erfahren tut es trotzdem jeder. Dagegen hat man eine befreite und grenzenlose Kindheit. Wir haben hier ganz viele Felder und Seen um uns herum, geografisch ist man nicht begrenzt. Es hat alle Freiheiten, dafür ist aber nicht viel los und recht einsam ist es.

BM: Was denkst du zum Zitat auch im Bezug als Musiker. Nehme man etwa Trends, die in der Musik vorherrschen. Hat man sich als Musiker da aussen vor gefühlt im Dorf?

Vincent: Ich hatte nie das Gefühl, wenn man nur Rockmusik höre, würde man zum Rocker. Für mich war das nie ein Thema. Ich konnte Rockmusik und Hip-Hop hören, das war den Freunden ebenso egal. Du musstest nicht Hip-Hop hören, weil du in der Gruppe unterwegs warst. Du konntest alles hören, man war da relativ offen für alles. Wir waren da auch recht grenzenlos.

BM: Musik kennt bekanntlich auch keine Grenzen. Wobei ihr alle – abgesehen von Leon – alle aus einer ziemlich musikalischen Familie kommt. Schon allein euer Bandraum wo eure Väter miteinander musiziert haben, ist einfach der Kracher. Wobei sich eure Musik sicher nicht ähnelt. Gibt es da manchmal ein Generationen-Konflikt mit der Musik, die Ihr macht gegenüber den eigenen Eltern?

Vincent: Ja, das gibt es. Mein Vater hat vor Kurzem gesagt; «Er findet viele Songs gut, mit «Nur Freunde» kann er aber gar nichts anfangen». Sie mögen nicht alles was wir machen. Als Musiker wird man auch unabhängiger durch den Einfluss von Musik. Die Musik von meinem Vater, hat mich sehr geprägt. Doch irgendwann entdeckt man dann seine eigenen Einflüsse, zum Anfang etwa Faber.

Dementsprechend entwickelt man sich weiter. Mein Vater hört immer noch dasselbe. Ich feiere da auch nicht alles, genauso kann er nicht alles nachvollziehen.

Von den Eltern bekommt man auch viel mit, unterbewusst will man Musik machen, welche ihnen gefällt. Ich will meinen Vater auch beeindrucken. Wenn ich ihm neue Sachen vorspiele, da bin ich oft ziemlich aufgeregt. Wenn ein neues Lied ihnen nicht gefällt, ärgert man sich aber nur kurz. Musik schreibe ich am Ende für mich.

BM: Eigentlich ist es stetig beides mit den eigenen Eltern; man will Unabhängigkeit, aber gleichzeitig diese auch Stolz machen. Wobei es schon besonders ist, wenn die eigenen Eltern gemeinsam Musik gemacht haben. An Familientreffen ist es sicher stets musikalisch bei euch. Was für Vor- und Nachteile hat es denn, wenn man so eng mit den Bandkollegen ist?

Vincent: Vorteil ist auf jeden Fall, dass man sich in- und auswendig kennt. Manchmal sogar besser, als die andere Person sich selbst kennt. Wir haben diese familiäre Bindung, aber auch eine Bruderschaft gemeinsam. Man ist ehrlich und gleichzeitig sehr hart miteinander. Es kann vorkommen, dass der Umgangston rauer sein kann. Es gibt Streit, aber immer in der Gewissheit, dass man nichts gegen die andere Person hat. Das muss man nicht betonen, das weiss man einfach. Man hat ein emotionales Gefühls-Verständnis. Gerade in der Musik verstehen etwa Robin und ich uns auf einer Welle. Das ist wichtig, das könnte ich mir mit einem anderen Freund nicht vorstellen.

Nachteil ist auf jeden Fall, dass man den anderen nicht mehr sehen kann, wenn man die ganze Zeit aufeinanderhängt. Nachteil ist sicher, dass Robin Bayern-Fan ist und ich Dortmund-Fan. Die Probleme zwischen einander hat jeder, ob man Cousin ist oder nicht. Unsere Themen bekommt einfach die ganze Familie immer mit. Da kommt von der eigenen Tante mal «Vincent, was war denn da los?». Das kann nerven. Im Grunde haben wir da aber einen guten Weg gefunden.

BM: Ihr habt wirklich eine besondere Bandzusammensetzung, findet man wirklich nur in der Provinz. Zusammen habt ihr jetzt schon einiges zum Anfang durchgemacht. Aus der Provinz, nach Berlin ins Studio, nun auf die erste grosse Tour. Wie geht man mit so einem raschen Aufstieg um?

Vincent: Man ist wie in einem Tunnel. Wir vier sind immer zusammen gewesen und daran hat sich nichts verändert. Realisieren tut man das, etwa bei Auftritten und ist dann einfach überwältigt. Meist ist man aber von Termin zu Termin unterwegs und hat keine Zeit sich darüber Gedanken zu machen. Es sind die Massstäbe und Ziele, welche sich verändern. Gerade wenn man verwöhnt ist mit so einem Wachstum der eigenen Reichweite. Das kann schnell zu viel werden für einen. Ich habe nichts gegen diese Phase der Ruhe gerade, da kann man grad mit der ganzen Entwicklung klar kommen. Das ist das Positive, was ich daraus ziehen möchte.

Dass die Jungs live ebenso begeistern, zeigte sich bei etlichen Auftritten im deutschen Fernsehen. Etwa hier bei «Inas Nacht».

BM: Kommen wir zu eurem Album «Wir bauten euch Amerika», einige Tracks wie «Wenn die Party vorbei ist» oder «Augen sind rot» zeigten schon was erwartet werden durfte. Was war dir, rein textlich beim Schreiben, wichtig beim Album?

Vincent: Es war wichtig, unsere Backgroundstory zu erzählen. Die Themen, welche einen beim Aufwachsen beschäftigen. Vorher wusste man in etwa, um was es gehen wird. In der Jugend, als Heranwachsender ist es die Gefühlswelt, aus Freitagabenden und Frauengeschichten, welche einen beschäftigt.

Amerika war ein Begriff dafür, sich mit dem Album seinen eigenen Traum zu erfüllen. Dass man trotz Provinz etwas Grössenwahnsinniges und Widersprüchliches schaffen kann. Ich fand das eine schöne Metapher für unser Album.

BM: Gehen wir doch etwas genauer auf dem Albumtitel ein, «Wir bauten euch Amerika». Du hast es gerade schon angesprochen, neben diesem Widersprüchlichen: Was steckt für dich noch hinter diesem Titel?

Vincent: Amerika bedeutet für mich, sich etwas zu trauen und sich nicht den Erwartungen zu unterwerfen. Jeder hat sein Amerika. Für mich war es das Album, für dich wird es etwas anderes sein. Zum anderen sind da Erwartungen, die an mich herangetragen wurden. Ehrliche Musik, etwas Bodenständige, halt was Solides machen. Dem bin ich noch nicht gerecht geworden und das erscheint etwa in der Strophe «Du bist Sklave der Sicherheit, ich bin in Freiheit».

Ich wähle die Freiheit, da es nicht infrage kommt, von meinem Plan abzuweichen. Heisst: Man muss probieren seinen Traum zu verwirklichen, es versuchen und nicht auf Sicherheit pochen.

BM: Wirklich ein starkes Unterfangen. Für das Album ging es raus aus dem Dorf, hoch nach Berlin in die Hansa Studios mit Produzenten Tim Tautorat, welcher schon Faber und AnnenMayKantereit betreute. Was für Erfahrungen nimmt man von der Arbeit am ersten Album für kommende Projekte mit? Plus: Wie war die Arbeit mit Tim Tautorat?

Vincent: Es ist viel Arbeit. Mit einem Album ist nicht zu spassen, dahinter steckt viel Fleiss und Disziplin. Am Tag macht man mehrere Stunden Musik. Dies über mehrere Monate, akribisch, so entstehen ein paar gute Songs. Im Proberaum probiert man abgeschriebene Songs zu retten. Einer hat eine Idee, da hat man denn Text. Da entsteht in einer halben Stunde ein Song. Da sagt dann jeder; «Krass, das haben wir in fünf Tagen nicht hinbekommen und schaffen es jetzt in einer halben Stunde». Man muss Geduld haben und dran bleiben. Geduld und Arbeit nehme ich auf jeden Fall mit.

Die Arbeit mit Tim ist gemütlich und gleichzeitig höchst professionell. Tim ist ein guter Typ, wir kommen gut klar mit ihm. Wir tauschen uns ständig über Musik aus, die wir gut finden. Wir haben einen regen Austausch, der über die geschäftliche Beziehung hinausgeht. Man geht was trinken und es bringt viel, ihm einfach zuzuhören. Er hat gute Ideen und bringt professionelle Einflüsse rein. Ich würde an der Zusammenarbeit mit ihm nichts ändern.

BM: Bin sehr gespannt auf zukünftige Projekte zwischen euch. Vincent, in euren Liedern geht es oft auch um den Schmerz der Liebe. Nehmen wir da etwa «Zu Jung», «Nur Freunde» oder «Reicht dir das». Sieht du die Musik auch als Mittel, um die eigenen Probleme zu verarbeiten?

Vincent: Musik bietet die Möglichkeit an, sich von der Seele zu schreiben, was in einem vorgeht. Ich bin jemand, der ein Song über etwas schreibt, statt darüber zu reden. Ich habe einen besseren Zugang dafür. Bei «Nur Freunde» war es so, dass ich gar nicht gross am Text gearbeitet habe. Ich kam nach Hause, hab mich hingesetzt und der Text war da. Aus einer Improvisation entstand der Song, welcher heut‘ zu hören ist. Manchmal ist es was Innovatives, was einfach raus muss.

Das Erstlingsalbum der Jungs ist soeben erschienen. Für Corona haben Provinz es glatt nach hinten verschoben, da die Vinylplatten noch nicht fertig waren.

BM: Kommen wir zum etwas gemeineren, unverblümteren Interview-Teil: den Bonusfragen. Wer spielt am besten Fifa von euch?

Vincent: Ich spiele am besten Fifa. Eigentlich spielt Robin besser als ich. Das gebe ich aber jetzt mal nicht zu.

BM: Mit wem würdet Ihr gerne mal auf Tour?

Vincent: Leoniden, die haben wir auf der letzten Tour getroffen. Hat Spass gemacht.

BM: Gestartet hast du mit Robin als Strassenmusiker unter den Namen «Twice», Moritz kam später ebenso dazu. Vermisst man, in der jetzigen Situation, das Strassenmusiker-Dasein manchmal?

Vincent: Eigentlich nicht, es hat schon Spass gemacht. Ich finde es aber besser auf der grossen Bühne zu spielen. Weil man dann Leute hat, die man nicht nervt, wenn man anfängt zu spielen.

BM: Ich weiss, dass du nebenbei immer noch im Kino arbeitest. Welchen Film würdest du jedem mal empfehlen?

Vincent: Ich würde sagen Django müsste jeder mal gesehen haben. Es gibt ein Haufen guter Filme, ich kann dir nur die ganzen Klassiker nennen. Quentin-Tarantino-Filme finde ich immer gut. Django muss man sicher gesehen haben, es gibt aber viele weitere guten Filme.

BM: Man kennt das bei Brüdern oder einfach in der eigenen Familie. Bei was herrscht der grösste Wettkampf zwischen euch Jungs?

Vincent: Zwischen mir und Robin herrscht eine gewisse Battle-Beziehung. Das hat früh angefangen und gilt bis heute. Da sagt man, schau ich habe in der Zeit ein Song geschrieben, was hast du gemacht? Sowas machen wir, das ist auch eher Spass. Ich habe das Gefühl, dass man den anderen übertrumpfen will. Der grösste Wettkampf zwischen uns allen herrscht in Fifa, da hört jede Freundschaft schon auf.

BM: Frauengeschichten, spätabends nach Hause und Alkohol. Sag, wer verträgt am meisten von euch?

Vincent: Ich glaub, das bin ich. Heisst nicht, dass ich am meisten trinke. Mosse trinkt am meisten. Robin verträgt gar nichts, muss man sagen. Ich trinke gerne, aber nie irgendwie übertreiben. Manchmal bin ich überrascht und schockiert, nach wie viel Bier es mir noch gut geht.

Fr 24.07. 2020