Vor dem Lockdown sah auch Tommy Vercettis aka Simon Küffers Welt noch ziemlich rosig aus: Gerade die Plattentaufe mit «No 3 Nächt bis Morn» gefeiert, die Tour stand vor der Tür. Es kam anders. Ein VorCorona-Gespräch über das neuste Album, komplexen Texten und dem neusten GTA-Teil. Von Lenard Baum
Gespannter Blick auf die Uhr, 15 Minuten sind um. Noch keine Sicht von unserem Interviewpartner, Telefon raus, Nummer suchen, schnell nachfragen. Alles gut, Vatersein kann man nicht pausieren, er sei aber gleich da. Paar Minuten später tritt Simon Küffer aka Tommy Vercetti aus dem Tram, Treffpunkt Station Breitenrain. Begrüssung und kurzes Nachschauen, ob das Breitsch-Träff geöffnet hat. Fast leer, gerade eine Veranstaltung am Vorbereiten, aber Interview könne man sicher drinnen führen. Simon holt sich ein Glas Wasser, wir suchen uns einen Platz fürs Gespräch.
BM: Hey Simon, schön, dass du es dir einrichten konntest. Erstmals Glückwunsch zum Erfolg und Chartplatzierung von «No 3 Nächt bis Morn», ein wirklich gebührender Nachfolger von «Seiltänzer». Sag mir, bist du mit anderen Ansprüchen an das Album rangegangen?
Tommy Vercetti: Das ist immer eine Frage, die sich ein Künstler nicht stellen oder ausweichen will. Wie positionierst du dich zum letzten Album. «Seiltänzer» gefiel vielen, danach kam lange nichts. Da kommt automatisch die Frage: «Was kommt jetzt?». Es entwickelt sich eine Erwartungshaltung.
Ich habe zwischen den beiden Alben viel mit anderen Musikern gemacht, da kam diese Frage so nie auf bei mir. Mit diesem Album habe ich probiert, Kontinuität einzuhalten. Du kannst nicht das Gleiche nochmals machen, sowas ist lächerlich und langweilig. Ebenso kannst du nicht trotzig etwas ganz anderes machen und den Vorgänger ignorieren. Hätte ich jetzt im Vergleich zu «Seiltänzer» einfach ein blödes ignorantes Rap-Album und damit einen Bruch gemacht, wäre ich der Herausforderung ausgewichen.
BM: Kommen wir zum neuen Album, sprechen wir über die einzelnen Songs. Da wäre erstens «Güetzi»; hier wird der Kapitalismus als Kinderspielplatz-Geschichte neu erzählt. Eine Botschaft – oder eher Kritik – wird hier innovativ angebracht. Warum diese Umgehung auf diese künstlerische Art?
Tommy: Einfach, um über etwas zu sprechen, ohne die altbekannten Begriffe zu brauchen. Etwa «Kapitalismus» und «Ausbeutung», halt das linke Vokabular. Das wirkt abschreckend und erntet schubladisierende Reaktionen: «Ah, das ist halt so ein Linker». Solche Begriffe sind auch vielfach zu elitär, weil sie ein gewisses Vorwissen bedingen. Die Kindergeschichte ist eine Form, wie man das «verpackt» erklären kann. Damit selbst jemand, der mit der Thematik nicht vertraut ist, feststellen kann; «Das ist nicht okay, das geht nicht.»
BM: Dir geht es vor allem darum, die Probleme des Kapitalismus für jeden zugänglich zu machen und nicht primär ein neues künstlerisches Gewand um die Geschichte zu dichten?
Tommy: Ich finde es nicht mal so künstlerisch. Eine enorm wichtige Frage bei diesem Album war, wie kryptisch oder eben nicht die Lieder sein sollten. Im Sinn von: Muss es pro aktiv verständlich sein oder eher poetisch, dass es wiederum die Hälfte eher nicht versteht.
BM: Ein schwieriges Unterfangen. Die Komplexität der Tracks hat für dich ein Problem dargestellt vor dem Release ?
Tommy: In den Medien gab es verschiedene Kritiken: Einerseits zu kompliziert, zu unverständlich, andererseits – im Gegenteil – zu plakativ, zu simpel, zu sehr ins Gesicht gedrückt. Nehmen wir den Song «Güetzi», die Kindergeschichte, den versteht jeder. Da hiess es, das Ganze sei zu platt. Ich habe es wichtig gefunden zu sagen: «Hey guck‘, es ist Rap. Und Rap ist halt irgendwo richtig direkt.»
Das klassisch gutbürgerliche Kunstverständnis liebt diese Offenheit und Zweideutigkeit. Das ist teilweise natürlich nötig und wichtig. Das sollte aber nicht heissen, zweideutige und schöngeistige Sprachspiele zum Selbstzweck zu erheben. Die Mehrdeutigkeit sollte nicht einen Ausweg bieten, um sich mit einer kritischen Aussage nicht auseinandersetzen zu müssen. Du kannst nicht Brechts Gedichte lesen und sagen: «Es geht gar nicht um Ausbeutung, es geht nicht um Kapitalismus». Das ist eine bewusste stilistische Entscheidung, aber es verletzt eben – und gerade deshalb – das bürgerliche Kunstverständnis, wenn du zu direkt bist.
BM: Die eigentliche Idee hinter dem Text soll nicht verloren gehen, die Komplexität bringt aber eine solche Gefahr mit sich. Da wäre etwa die eine Textzeile in «Romeo & Julia»: «Du bisch ä sehr tüüre Spiägu für mi Ässtisch». Ich bin wohl nicht der Erste, der dich darauf anspricht, aber würdest du selber meinen, dass diese Stelle vielleicht zu komplex ist?
Tommy: Ja, natürlich. Ein Beispiel, wo ich mir denke, das ist zu weit gegangen. Beim Song «Romeo & Julia» lasse ich mit mir diskutieren, ob der gescheitert ist. Da scheiden sich einfach die Geister: Die Wohlgesinnteren sagen: «Das ist Poesie, das ist gut, das ist nicht auf die Nase gebunden». Womöglich ist der Song ein Beispiel, bei dem der Text als Rap zu kompliziert ist. Es ist kein Track, denn du einfach hören kannst. Das sind so die Herausforderungen, die sich bei diesem Album stellten.
BM: Kommen wir doch etwas zu deiner Persona. Du bezeichnest dich selbst als Kommunist, kritisiert das Bildnis des Kapitalismus und schreibst an einer Doktorarbeit. Das polarisiert und lässt sicher mehr Kritik entgegenkommen, wie man auch auf manchen Kommentarseiten lesen kann. Wie gut schaffst du den Umgang mit Kritik?
Tommy: Ich denke mal, recht gut. Wenn man weiss, dass etwas Folgen haben wird, erwartet man die Kritik gleich. Im Voraus kann man vieles gut einordnen. Es gibt aber ein paar Sachen, die einen stören oder kränken. Wenn etwa die Kritik von einer dir wichtigen Person kommt. Einer Person, die dir etwas bedeutet. Wenn diese Person mit ihrer Kritik vielleicht sogar richtig liegt, tut das dann schon weh.
Dann gibt es Sachen, wo man sich einfach aufregt. Viel aus der Konstellation heraus, dass man einem etwas nicht zutraut. Gerade als Rapper wird einem wenig zugetraut. Etwa bei der Frage mit den Texten, ob diese zu platt oder zu hoch gestochen sind. Da wird wenig diskutiert, ob ich mich bewusst entschieden habe den Text in dieser oder jener Form zu schreiben.
BM: Manche bemerken ja durchaus, dass deine Texte vergleichsweise weitaus höheres Niveau haben. Ein gewisser Unterschied zwischen dir und, sagen wir, einer Loredana oder einem Capital Bra ist bemerkbar. In den Medien wurdest du sogar schon als Gegenentwurf zum inhaltslosen Rap bezeichnet. Was hältst du davon?
Tommy: Das würde ich nicht sagen. Wenn du nur das Produkt anguckst, dann existiert da schon ein Unterschied. Ich glaube aber nicht, dass ich einen Gegenentwurf darstelle. Ich habe viel Sympathie für erwähnte Musik, höre solches auch gerne und komme ein Stück weit aus jener Richtung. Ich hoffe selber einfach, eine andere Seite davon darzustellen, die Herangehensweisen sind anders. Die Rap-Sparte von Loredana, etc. hat für mich etwas Zynisches an sich. Zynisch im Sinne von, dass man sich bewusst einem ethischen Anspruch verweigert oder sogar das Gegenteil feiert: «Ah, okay, wir leben in einer Welt, in der nur Karren, Geld, etc. zählen? Dann drauf geschissen, feiern wir das halt!». Da ist mehr dahinter, die Leute sind nicht dumm. Ich glaube überhaupt nicht, dass wir Gegensätze sind.
BM: Sagen war dann lieber nicht Gegenentwurf, sondern wie eine andere Seite der Medaille. Man begegnet dir ebenso ab und an in der Münstergass-Buchhandlung, du liest neben Sachbüchern ebenso viele Klassiker. Stimmt es das du Brecht gelesen hast, bevor du mit dem Album begonnen hast? Worum ging es dabei?
Tommy: Ja, das stimmt. Es ging darum, welche Form das Album haben sollte. Ich und mein Umfeld, wir haben teilweise einen recht literarischen Zugang. Ich meine das nicht wertend, es geht um den Fokus auf dem Text. Es gibt viele Rapper, die machen viel musikalischeren Rap. Da geht es um einprägsame Lines, geile Hooks, um Melodien und beim Produzieren auf der Höhe des Sounds zu sein. Sie verbringen im Vergleich wohl mehr Zeit im Studio und, bei vielen könntest du sagen, dass sie bessere Rapper oder Musiker sind als ich. Interessant finde ich, dass die Art von Rap, die ich mache, selber nicht mal so gerne höre. Das ist, glaub‘ ich, oft so, dass Musiker nicht unbedingt die Musik machen, die sie am liebsten hören.
BM: Musik ist für viele Menschen seit jeher etwas, das ihnen unter anderem dabei hilft, sich zurückziehen zu können, um bei sich selbst zu sein. Bei deinem Song «Vorem Gsicht» sucht der einfache Arbeiter stetig nach jemanden, der ihn versteht. Denkst du, Musik stellt eine letzte Freiheit da, wenn man sich an niemanden wenden kann?
Tommy: Ja, natürlich. Ich nehme das im Leben auch so wahr. Das tönt immer so kitschig und naiv. Es ist aber eine Kunstform, wo man sich nicht zu fragen braucht, was jemand anderes will. Es geht nicht darum, was gefordert ist. Sondern du kannst handeln, wie du willst.
BM: Dass man sich von niemanden etwas vorschreiben lässt und Musik so ausübt, wie man will. Hast du diese Freiheit, diesen Rückzug mit deiner Musik erreicht? Deine Texte sind sehr durchdacht und sorgfältig konzipiert.
Tommy: Ich weiss, was du meinst. Ja, ich hatte immer das Bedürfnis, frei zu sein in der Musik. Das ist so ein künstlerischer Stereotyp. Mir war klar, wenn ich Musik machen will, wie ich sie haben will, muss ich dafür anderswo weiterhin arbeiten gehen. Das beginnt schon bei den Beats und der Struktur der Songs. Bei jedem Album kommt die Diskussion auf, welche Songs man dem Radio schickt. Ich wusste bei diesem Album, da können wir keinen schicken. Das ist nicht mal böse gemeint. Es hat aber keinen Song, den ich einem Radio zumuten würde. In einem Track gibt es einen Hook am Anfang, dann rappe ich sechs Minuten durch und am Ende kommt vielleicht noch eine Bridge. Solche Lieder sind nicht Radio tauglich. Die Songstrukturen sind meist aus den Themen heraus entstanden.
BM: Hat wieder etwas von der anderen Seite der Medaille bzw. des Raps, da im Radio doch nur die gleichen Rap-Tracks hoch und runter laufen. War dir das im Vornherein klar, vor dem Aufnehmen und Produzieren im Studio, dass keiner der Songs dem Radio entsprechen wird?
Tommy: Es ging mir nicht darum, dass kein Lied dem Radio entsprechen sollte. Wenn ein Song schon zwei Hocks und zwei Verses hat bei sechzehn Zeilen, dann ist das so. Ähnlich war das bei den musikalischen Inputs von Pablo Nouvelle. Er hat mir Produktionen geschickt, die schon fast durcharrangiert waren. Ich habe mich vielfach darauf eingelassen. Im Hinterkopf hatte ich nicht «Das muss doch so und so sein», mir ist eher wichtig, wie es beim Prozess rauskommt. Sowas geniesse ich dann auch eher. Ich überlege nicht, wie das dann strategisch oder kommerziell am besten funktioniert. Ich verurteile das nicht, das gibt es halt. Ich gehe in dem Fall einfach lieber hierfür arbeiten. Man schafft sich etwas, was Spass macht, wofür man auch einstehen will und dabei bestenfalls diese Liebe ein wenig zum Beruf machen kann. Wenn es zu stark zu einem Job wird, dann bleibst du lieber bei deinem alten Job, welcher sicherer und besser bezahlt ist.
BM: Man merkt, du stehst hinter den Liedern, die du geschrieben hast. Kommen wir zu einer, sagen wir, gemeinen Bonus-Fragenrunde. Gar nicht allzu lang her, wer hat dir am diesjährigen Cypher 2020 am besten gefallen?
Tommy: Uh, richtig gemeine Frage. Da kann man sich nur Freunde und Feinde machen (lacht). Lyrics haben so eine Einschätzung gemacht, dass die Altbewährten als Einzige überzeugt haben. Ich finde, das stimmt, es hat weniger Überraschungen gegeben. Mimiks habe ich geil gefunden, Sulaya fand ich geil, auch wenn er dann rausgefallen ist. Danase find‘ ich immer geil, bin einfach Fan. Die Sektion Züri-Jungs fand‘ ich geil. Züri hat ein paar geile Sachen. Wer mich überrascht hat, wo ich Wow sagte, war… (überlegt) Sie hatten zwei Poetry Slamer eingeladen, den Laurin Buser und Fatima Moumouni, Nuggets! Am Anfang haben sie etwas leicht Peinliches gemacht, dann hatten sie Verse, die wirklich geil waren. KT Gorique war wieder gut, die ist aber immer gut. Mein Eindruck war wirklich, wenig Überraschungen dieses Jahr.
BM: Die Bonusfragen werden nicht gerade einfacher. Mal eine Frage zum wunderschönen Bern. Wo spielst du lieber: Gurten oder Dachstock?
Tommy: Ihh, ja, das ist fast ein totes Rennen. Beides ist halt ein extremes Heimspiel, aber vielleicht der Gurten noch ein Stück mehr. Nicht, weil der Ort mir sympathischer ist, sondern schlicht feelingmässig. Wenn man nachts um 23 Uhr auf der Waldbühne spielt und alle Leute da sind: Das ist fast das Geilste überhaupt.
BM: Zum Schluss eine Frage zu deinem Namen, dieser ist einer Figur aus dem Videospiel GTA Vice City entliehen. Darfst du als zweifacher Familienvater noch GTA spielen?
Tommy: Ich habe tatsächlich vor einem Jahr angefangen mit dem neusten Teil, bin dann aber so selten dazu gekommen. Es ist gar nicht dürfen, man findet einfach keine Zeit mehr. Ich dürfte aber schon (schmunzeln).