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Im Gespräch mit Simon Baumann

«Hey, chöt dir ufhöre? Es isch huere längwilig.»

Wir besuchten das Berner Multitalent Simon Baumann in seinem Proberaum und sprachen mit ihm über die Carte-Blanche Serie, das Leben als Musiker, seine Mitarbeit bei Syrens of Lesbos und seine Zeit in Berlin. Von Sven Sommer

Wir trafen Simon Baumann in seinem Arbeits- und Musikraum in Bern. Das Multitalent erhielt vom Konzerveranstalter in der Turnhalle «bee-flat» die Carte-Blanche für vier Abende, er durfte also machen, was er wollte. Der Bewegungsmelder war an den bisherigen Auftritten dabei und berichtete darüber. So auch nach dem kommenden Sonntag. Vorher stellten wir ihm aber noch einige Fragen.

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Die letzte Carte Blanche findet am Sonntag statt, bist du froh, dass es vorbei ist?

Na ja, froh in dem Sinne, weil sich in den letzten zwei Monaten alles extrem verdichtet hat. Ich habe neben der Carte-Blanche viele andere Projekte am laufen und dadurch hatte ich in den letzten zwei Monaten extrem viel zu tun. Aber die Carte-Blanche selbst ist natürlich ein Format, um das sich jeder Künstler reissen würde. Am liebsten möchte ich es ewig weiterziehen. Nirgendwo sonst hat man soviel künstlerischen Freiraum.

Wie ist das Fazit der ersten drei Gigs?

Mehrheitlich würde ich sagen, ein erstaunlich positives Fazit. Es gibt zwei, drei Dinge, die ich weniger gut fand, aber das ist schon OK so. Es kommt immer etwas darauf an, was man erwartet. Ich sagte mir am Anfang easy, nur nicht zu viel erwarten. Mir ging es vor allem darum, viel auszuprobieren. Und so war auch der erste Abend, ich probierte sehr viel aus, beim zweiten Abend schon weniger.

Das Experimentelle merkte man am ersten Abend, z.B. an der Kaffeemaschine die du in die Klangkulisse mit eingebaut hast. Wie kamst du auf diese Idee mit der Polstergruppe?

Dazu muss ich erst ein bisschen ausholen. Als wir mit Stephan Eicher auf Tour waren, verbrachten wir sehr viel Zeit in Zügen und in Hotels. Wir spielten um die 100 Gigs quer durch Europa. Dabei hat man viel Zeit und wir begannen da, spezielle Geräusche kurz mit dem Smartphone aufzunehmen. Zum Beispiel klangen in einem Lift in Brüssel Mönchschöre aus den Lautsprechern oder in einer Golfanlage eines Luxushotels in Luxemburg tröteten Saxophonklänge mit viel Hall aus den Lautsprechern. Aus all solchen Geräuschen, die wir weird und lächerlich fanden, entstand ein Soundarchiv. Irgendwann einmal kamen ich und Stephan dann auf die Idee: Wir machen ein Ambient-Musikprojekt daraus! Wir wussten auch sofort, dass wir dieses Projekt Polstergruppe nennen wollen, denn es sollte etwas Gemütliches ergeben am Schluss. Wir erstellten als erstes eine Webseite und dann geschah eine lange Zeit einmal nichts mehr. Ich war zweimal bei Stephan in Südfrankreich und wir hielten Studio-Sessions, aber es war eher eine Spielerei als etwas Ernstes. Dann kam die Carte-Blanche und ich hatte jemanden, der dieses Experiment finanziert. Stephan und ich telefonierten viel und arbeiteten so den ersten Polstergruppenabend aus. Es sollte das Gegenteil eines Konzertes werden, das heisst, die Menschen stehen nicht, sie sitzen nicht, sie liegen. Auf der Bühne ist keine abgefahrene Lichtshow mit gutaussehenden Künstlern, die vor dem Publikum herumposen und angehimmelt werden, sondern die Gäste sind das Zentrale, der Mittelpunkt des Abends. Wir wollen ihnen zeigen, dass wir uns freuen, dass sie gekommen sind. Zugleich soll es ruhig werden, etwas bei dem man sich entspannen kann. Es ist auch gestattet einzuschlafen. Alles also Eckpunkte, die man so bei einem Konzert nicht ansetzen würde.

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Du spielst in sehr vielen verschiedenen Musikprojekten. Das reicht von Blues über Hip-Hop zu Techno oder eben französischer Chanson-Rock wie bei Stephan Eicher. Ich hörte das Gerücht, du gehörst auch zum anonymen Elektroprojekt «Sirens of Lesbos». Stimmt das?

Ich kann es nicht ganz dementieren (lacht). Allerdings kann ich dazu sagen, dass ich dabei keine Schlüsselrolle spiele. Ich bin ganz weit im Hintergrund dabei und es gibt Phasen, wo ich mehr beitrage und solche, wo ich weniger tätig bin. Anfangs beteiligte ich mich als Co-Produzent, zusammen mit Melvyn Buss, mit welchem ich sehr gerne zusammenarbeite und mit welchem ich im DJ-Duo «Mercury» hatte.


Du bist Schlagzeuger bei Stephan Eicher und warst es auch bei Kutti MC. Stephan Eicher hat einmal ein Album von Kutti MC Produziert. Kamst du so zu Stephan Eichers Band?

Wir hatten damals ein Techno-Trio in Berlin, One Shot Orchestra, mit welchem wir auch eines Tages mit Kutti anfingen zu arbeiten und seine Band wurden. Wir spielten dann etliche Konzerte mit Ihm und nahmen auch ein Album auf, auf welches Stephan Eicher aufmerksam wurde. Die beiden lernten sich kennen und beschlossen: Das nächste Album produziert der Eicher! Nach den Aufnahmen rief mich Stephan Eicher an und fragte ob ich auch Lust hätte, in seiner Band zu spielen und so führte eines zum Anderen.

036 (2)Gibt es auch ein Projekt, welches du heute nicht mehr machen würdest?

Vielleicht sollte ich manchmal ein bisschen kürzer treten und bei weniger Projekten mitmachen. Aber bis jetzt hat mir noch jedes Projekt Spass gemacht. Ein Projekt, das voll gegen die Wand lief gab es sicher, nur würde ich das hier nicht sagen (lacht). Es gab aber einige geile Situationen. Zum Beispiel da, als ich zum ersten Mal mit One Shot Orchestra spielte. Dies war an einem Illegalen Rave, irgendwo im Wald, wir spielten direkt auf der Lichtung auf dem Boden. Während dem Set stand plötzlich irgendein Typ neben mir und sah uns regungslos zu. Ich dachte mir, der sei ein Freund der zwei anderen Bandmitglieder Wir spielten unbeirrt weiter. Irgendwann kam er dann mit seinem Kopf ganz nahe an mein Ohr. Die anderen sahen mich schräg an. Sie dachten er sei ein Freund von mir. Allgemein war die Verwirrung sehr gross. Dann sagte er langsam in mein Ohr: «Hey, chöt dir ufhöre? Es isch huere längwilig.»

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Du erwähntest vorher Berlin. Hast du dort studiert?

Nein. Ich landete da mit One Shot Orchestra. Ich habe ja nicht Musik Studiert, sondern Wirtschaft und Medien. Nach dem Studium arbeitete ich bei einer grossen Warenhauskette in Basel und flog jeweils am Wochenende nach Berlin, um mit dem Trio zu spielen. Dadurch eröffnete sich für mich eine neue Welt. Ich verbrachte sehr viel Zeit in Berlin. Irgendwann stellten sie mich auf der Arbeit vor die Wahl: Entweder ich mache Karriere im Beruf oder ich mache Musik. Ich machte schon vorher viel Musik und habe mich dann so für den Weg als Musiker entschieden. Danach lebte ich eine Zeit in Berlin.

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Noch eine klassische Abschlussfrage: Was erwartet uns am Sonntag bei der letzten Carte Blanche?

Was am Sonntag läuft, hängt direkt vom Publikum ab. Wenn es Menschen hat, die Bock auf Tanzen haben, wird es eine Art DJ-Set. Dann beginnen wir mit Breakbeat und wenn wir merken, die stehen drauf, fahren wir auf diesem Weg weiter, wenn wir merken es kommt nicht an, gehen wir in Richtung House oder wenn das Publikum lieber Reggae mag, spielen wir Reggae. Unser Duo improvisiert zu 100% und auch nicht davor zurückschreckt, ab und zu einige käsige Melodien einzustreuen wie Macarena, einfach in anderen Versionen. Die Idee der Baumon-Favre-Jukebox ist, dass das Publikum etwas einwirft, und das ist von Abend zu Abend unterschiedlich. Manchmal kann das Publikum Stichwörter vorschlägt, zum Beispiel ruft jemand «Paris 1920» und wir versuchen dann, so zu spielen, wie die Musik damals klang. Oder wir machen Disco und spielen dann so, wie die Menschen auf unsere Musik reagieren, also je nach Stimmung.

Review zu Carte-Blanche#1

Review zu Carte-Blanche#2

Review zu Carte-Blanche#3

Infos

Die Carte Blanche #4 mit Baumon Favres Jukebox findet diesen Sonntag 29. Mai 2016 statt, Türöffnung um 19:30 Uhr.

Sa 28.05. 2016