Bevor der Jazzpianist Luzius Schuler die Carte Blanche nach drei Konzertabenden wieder abgibt, haben wir uns auf ein Kaffee mit ihm getroffen. Ein Gespräch über die Entstehung eines Carte Blanche-Programms, seine sonstigen Projekte und den Alltag eines vielbeschäftigten Musikers. Von Pablo Sulzer
Bewegungsmelder: Hallo Luzius, danke, dass du dir Zeit für dieses kurze Gespräch nimmst. Als aktueller Carte Blanche-Inhaber hast du das Vergnügen mehrere Konzertabend unter deinem Namen zu gestalten. Erzähl uns, wie war dieses Unterfangen für dich?
Luzius Schuler: Also, erstens war es eine super Gelegenheit, eine Ehre für mich, diese Möglichkeit als junger Musiker vom bee-flat angeboten zu bekommen. Dieses Vertrauen zu bekommen, das ist sehr schön. Es ist schon auch anderes, als die Sachen, die ich sonst so mache. Für die Carte Blanche habe ich drei komplett neue Programme erstellt. Da steckt viel Planung, Koordination und viele logistische Arbeit dahinter, Terminen nachrennen und so.
Wie viel im Voraus wusstest du Bescheid, dass du diese Reihe gestalten wirst?
Etwa im Januar wurde ich erstmals angefragt. Bis zur definitiven Zusage musste zuvor noch der Zeitrahmen festgelegt werden, so dass es letztlich Mai wurde, bis ich das Projekt in Angriff nehmen konnte. Ab da musste ich schon ziemlich Gas geben. Der kreative Input durfte zudem nicht lange auf sich warten. Die drei Konzerte sehe ich in einem grossen, groben Bogen: Jeden Abend habe ich versucht in eine der verschiedenen Richtungen zu gehen, in denen ich musikalisch unterwegs bin. Dass die jeweiligen Abende sich abgrenzen war auch geplant. Aber am Ende kam und kommt es, wie so oft, wieder ganz anders, als angedacht. Gefühlt für mich zumindest. Alles in allem war der Prozess schon sehr einnehmend. Aber auf eine gute Art.
Gewähre uns noch einen Einblick in den Entstehungsprozess dieser Carte Blanche? Was ist speziell, was eher Routine?
Speziell an diesen drei Abenden ist, dass man wirklich gezielt auf diese Konzerte hinarbeitet. Nicht etwa um das neu geschriebene Programm längerfristig zu benutzen oder wiederzuverwerten, wie es üblich vor einer Tour oder Album-Release geschieht. Klar, man könnte theoretisch diese Programme wieder aufführen. Ich habe die Konzertabende aufgenommen und gefilmt, falls es wieder eine Möglichkeit geben würde, die Programme neu aufzuführen. Aber dies ist nicht geplant. Man setzt sich also vorgängig sehr mit diesem einen Moment des Konzerts auseinander. Man fragt sich „Wie wird es sein?, „Was kann ich jetzt für Entscheidungen treffen, damit Unerwünschtes nicht eintritt?“, aber auch „Was tun, damit Erwünschtes eben doch eintritt?“, und so weiter. Man versucht die einzelnen Sachen zu kontrollieren. Das steht sicher in Diskrepanz zu meiner üblichen Angehensweise bei meinem sonstigen Schaffen. Da versuche ich eher im Moment Neues entstehen zu lassen, was bei diesem Projekt eine Gradwanderung ist. In diesem konkreten Fall hat man bestenfalls eine gewisse Vorstellung, dabei aber wenig Zeit, um diese umzusetzen und man versucht sie einzugrenzen, muss die verschiedenen Musikerinnen und Musiker an den Zügeln nehmen, damit die Idee letzlich Form annimmt. Glücklicherweise hat man meist Leute um sich, die sehr gut diesen Moment zelebrieren und anvisieren können. Man weiss, dass man auch mal machen lassen muss.
Zwei Carte Blanche-Abende sind durch, einer steht heute (Mittwoch, 11. Januar 2017, Casio Medicine) noch an. Bei der ersten Ausgabe bist du mit deiner erweiterten Band als Grimsvötn Universe aufgetreten, eher eine Pop-Angelegenheit. Beim zweiten Abend dann schon eher Impro-Jazz mit Woodlander in einer Extended Version. Ein kleiner Rückblick an dieser Stelle?
Nun, am ersten Abend habe ich die Zügel eher straff in der Hand gehabt, etwas was sicherlich mit dem Format zu tun gehabt hat: Ein engeres Popmusik-Korsett, das wenig Improvationen zu liess. Klar, die Motivation ist hier eindeutig der Song, die Message, das Bestreben die Story möglichst gut rüberzubringen. Der Abend war toll, aber ich war vielleicht etwas tense, konnte es nicht ganz gehen lassen. Dies hat sich dann zum zweiten Abend hin positiv entwickelt, der ja von musikalischen Ansatz her weitaus freier war. Ich hatte mich wohl auch mittlerweile an das Format gewöhnt, etwa an den Gedanken „Du bist die Speerspitze hier, du stehst nun im Fokus“ zum Beispiel. Sicherlich auch besser an den Progr-Raum der bee-flat gewohnt. Somit habe ich den zweiten Abend schon stimmiger empfunden. Aber eben, die eigene Auffassung ist immer etwas anders.
Jetzt steht der dritte Abend vor der Tür: Casio Medicine. Ein verspieltes, einladendes Synthie-8-Bit-Kuriosum. Wenn man dieses Programm mit den anderen zwei betrachtet, lässt sich eine gewisse Dramaturgie erkennen. Anfangs klar ausgearbeitete Pop-Geschichten, darauffolgend gleich ein etwas intensiver, improvisierter Kammerjazz und nun ein scheinbar lockerer Abgang im Tetris-Look. Wie bewusst wurde hier am Dreiteiler gefeilt?
Es ist tatsächlich eine gewisse Dramaturgie erkennbar, doch die drei Abende wurden vor allem nach dem logistischen Prinzip geplant. Sprich: Entscheidend war vor allem, wann und welche Musikerinnen und Musiker an bestimmten Tagen Zeit hatten. Konkretes Anschauungsbeispiel: Für Woodlander war es kurz vor Weihnachten das einzige, passende Datum, um innerhalb der Carte Blanche aufzutreten. Aber natürlich hat es sich gut angefühlt, mit etwas zu beginnen, das mir vertraut ist. Mit der Band Grimsvötn bin ich am längsten unterwegs. Bei Woodlander Extended war über die Hälfte des Programms komplett neu geschrieben und bei Casio Medicine ist sowieso alles neu. Über die drei Konzerte hinweg ist schon eine Entwicklung erkennbar: von einem eher starren Pop-Korsett über ein befreites Improvisieren zum fröhlich-experimentierenden Casio Medicine. Für dieses habe ich das Prinzip des Density Scores angewendet; einen grafischen Spannungsverlauf aufgezeichnet und komponierte Anteile platziert, die ungefähr einen Drittel der Musik ausmachen. Der Rest ist frei improvisiert, da spielen sicherlich die Visuals dann eine grosse Rolle, die ebenfalls live produziert werden.
Danke für den Einblick. Zu deiner Person: Du bist ein vielbeschäftigter Musiker, bei mehreren Bands und Projekten beteiligt. Wie schwierig ist es zur selben Zeit aufs Neue Unterschiedliches zu machen? Gewöhnt man sich daran, konstant zwischen Projekten am switchen zu sein?
Dieser Aspekt ist sicher eine sehr zentrale Sache in meinem Musikerleben. Also für mich bestimmt, aber sicherlich auch für manch andere Musikerinnen und Musiker. Zum Beispiel: Nach einer Probe mit Casio Medicine heute (Tag vor dem Konzert, Anm. d. Red.), bin ich heute Abend mit einer anderen Band in Zürich unterwegs. Das heisst, dass zuerst mein ganzes Keyboard-Material für die Probe bereits aufgebaut worden ist, abends für das Zürich-Konzert ich mir gut überlegen muss, was ich alles für dieses Programm brauche, bevor ich nach Mitternacht gegen 03:00 Uhr morgens zurück komme und am nächsten Tag das Casio Medicine-Setup bestens geplant haben sollte. Das sind so die logistischen Abenteuer, die dazu gehören. Immer etwas am switchen im Kopf. Und wenn man so divers unterwegs ist, kommt zusätzlich immer ein Punkt, wo man sich dafür entscheiden möchte, sich mit einem Projekt intensiver auseinanderzusetzen zu können, auf Kosten von anderen Projekten. Aber das ist eine andere Geschichte.
Magst du das? Dieses ständige Hin- und herwechseln?
Ich bin vor allem sehr gerne als Sideman in anderen Bands und Projekten dabei. Zu versuchen die Visionen und Motivation der anderen Mitmusikerinnen und Musiker zu erlicken und meine eigene Ideen reinzubringen. Bei der musikalischen Interaktion hat es immer auch eine zwischenmenschliche Komponente, die sehr spannend ist. Wenn es zu viel wird mit dem Switchen kann es schon sein, dass man zu wenig Zeit für die einzelnen Projekte hat. Dass man gefühlt die Sachen verpasst, für die das Herz schlägt. Und dass diese zu kurz kommen, möchte man verständlicherweise nicht, aber die nächsten Projekte stehen rasch wieder vor der Tür. Kompromisse machen, lautet die Devise.
Als Jazzpianist improvisiert du oft. Grundsätzlich: Wie improvisiert man eigentlich?
Seit drei Jahren bin ich fertig mit dem Studium. Ich kann nicht behaupten, dass ich bereits eine Altersweisheit erlangt habe, aber mir ist aufgefallen: Es spielt immer mehr die eigene künstlerische Figur eine Rolle. Diese Figur, die im Einklang mit deiner eigenen Musik ist. Letztlich wollen die Leute meist Authentisches sehen. So ist das Publikum generell am aufmerksamsten, wenn auf der Bühne eine Story erzählt wird, die man ehrlich rüberbringt und so gemeint ist. Wenn ich jemand auf der Bühne sehe, der etwas zu erzählen hat, dann zieht mich das an und ich höre zu. Es zieht automatisch meine Augen und Ohren direkt zur Person hin. Wenn man also entsprechend improvisieren kann und möglichst direkt aus der künstlerischen Figur schöpfen kann, ist es ziemlich egal, was und wie man es macht. Natürlich, innerhalb der stilistischen Idiome, in denen man sich darin bewegen kann.
Im Netz haben wir nachgelesen, dass du angeblich beim Reinhören von Jimi Hendrix‘ Musik für einen flüchtigen Augenblick an deiner Instrumentwahl gezweifelt hast. Wie sieht es tatsächlich aus? Dürfte es auch ein anderes Intrument statt Klavier sein?
Früher habe ich mir nie so Sachen überlegt. Ob ich nun Gitarre spielen soll oder was anderes. Was ich aber nun seit ein paar Jahren manchmal mache: Schlagzeug spielen. Dieses Instrument hatte ich an der Jazzschule im Nebenfach, doch konnte ich es dort nicht richtig ausleben. Jetzt spiele ich vergleichsweise ziemlich oft. Ich kann es mir durchaus vorstellen, dass ich vielleicht einmal auch auf der Bühne Schlagzeug spielen werde. Ich finde es vor allem ein sehr geiles Instrument. Wegen den Grooves, wegen der physischen Komponente, dort kannst du mit allen möglichen Nuancen spielen. Das mache ich gerne. Aber das Klavier und ich waren schon von Anfang an ein sehr guter Match. Je länger, umso mehr versuche ich pianistisch noch etwas mehr in die Tiefe zu gehen. Obwohl ich weiterhin viel Keyboards und Synthies spiele.
Allgemein: Was steht bei Luzius Schuler so an? An was tüftelst du?
Nächstes stehen die Swiss Diagonales (14.01.-19.02., schweizweit) an, wo ich mit zwei Bands auftrete. Bei der Band Esche bin ich als Co-Leader dabei, ein akustisches Trio. Mit Marena Whitcher’s Shady Midnight Orchestra spiele ich sechs Konzerte, es ist schon alles sehr tight im Januar und Februar. Und mit Pamela Mendez sind wir an einem Crowdfunding dran, machen bald einen Videoclip. Die Planung für den Album-Release im Herbst ist voll im Gange. Dazu arbeite ich auch mit Rea Dubach zusammen, untere anderem Sängerin von Síd und Das Reum, mit ihr bringe ich auch eine CD raus. Ach ja, und auch als Trio, mit Woodlander.