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Im Gespräch mit Jessiquoi

Neues Album und Clip-Release

Die australisch-stämmige Schweizerin hat sich mit ihrem ungewöhnlichen Mix aus Elektro, Pop und visuell aufregenden Auftritten schnell einen Namen gemacht. Gerade ist ihr Album «Glitch Trigger, Chapter 1» erschienen, und wir haben mit ihr über Druck, Karriere-Tipps und Lady Gaga gesprochen. Von Julia Sabino

Es ist ein milder Frühlingstag als ich mich mit Jessiquoi zum Interview treffe, die Menschen sitzen wieder unter den Lauben der Berner Innenstadt. Wir verabreden uns vor den Türen des erst kürzlich eröffneten City Pubs, einer Bar in den Räumlichkeiten des einstigen Kino City der Aarbergergasse. Jessiquoi wirkt entspannt, wir umarmen uns zur Begrüssung, danach schlendern wir gemeinsam in einen der ehemaligen Kinosäle und beginnen uns zu unterhalten.

BM: Erzähl uns doch ein wenig über dein neues Album
«Glitch Trigger (Chapter 1)», das am 16. Mai erschienen ist. Bist du aufgeregt vor dem Release?

Jessiquoi: Ich bezeichne das Album eigentlich als eine Zusammenfassung aller meiner bisherigen Werke. Das Ganze war ein echter Prozess, in dem ich mich vor allem als Produzentin erst einmal finden musste. Umso gespannter bin ich, wie das Ergebnis ankommen wird, schliesslich habe ich lange daran gearbeitet: Jeder Song hat eine eigene Persönlichkeit, eine Art eigenen Charakter. So entstand schliesslich die Idee, ein komplettes Konzeptalbum daraus zu machen.

Cover photo by Manuel Lopez Photography

Worauf dürfen sich deine Fans musikalisch freuen?

Fans, die meine früheren Songs mochten, werden sich auch auf
«Glitch Trigger» sofort wiederfinden: Musikalisch bewege ich mich nach wie vor zwischen Electro und Hardpop – allzu süssen Sound wird man bei mir also nicht finden. Ich bemühe mich zwar auch sanfter zu sein, rutsche aber immer wieder in die edgy-konfrontierende Ecke (lacht).

Man hat dich in der Vergangenheit auch schon als «Lady Gaga der Schweiz» bezeichnet. Wie fühlst du dich mit so einem Etikett?

Lady Gaga ist vor allem optisch sehr provokativ. Die Inhalte ihrer Texte wiederum sind meistens sehr Pop-lastig und weit weniger anstössig als man erwarten würde. Bei mir, denke ich, ist es ein wenig anders: Meine Texte wurden ja bereits als «radikal» betitelt, während ich bei meinen Videoclips Wert auf schöne, intensive Optik ohne grosse Provokation lege.

Dass deine Musik auch deine Leidenschaft ist, ist klar. Aber betrachtest du sie inzwischen auch als Job?

Das Ganze ist definitiv ein Vollzeitjob. Denn die Aufgabe eines Musikers besteht ja nur zum Teil aus Gigs und Songschreiben. Weitaus mehr Zeit verwendet man auf Dinge wie Organisation der Shows, Meetings und Mails beantworten. Ich stehe zudem ziemlich am Anfang meiner Karriere, kann also noch nicht wirklich von meiner Leidenschaft leben – auch deshalb ist bei mir alles sehr reduziert. Ich lebe von relativ wenig Geld, und das meiste, was ich verdiene, stecke ich gleich wieder in meine Projekte. Allerdings habe ich das Glück, oft im Bereich Musik arbeiten zu können, sei es an Workshops oder ich kann unterrichten, das gibt mir total viel.

Du hast ja doch bereits einiges erreicht! Unter anderem konnte man dich auf so grossen Bühnen wie dem Gurtenfestival und dem Zürich Openair bewundern, ausserdem erhieltest du 2018 die Auszeichnungen«Demotape of the Year» und «Best Electronic Song» Was geht dir in solchen Momenten durch den Kopf?

Den Moment, in dem ich das «Demotape of the Year» abgestaubt habe, werde ich nie vergessen, ich war wirklich stolz auf meine Leistung. Diese Würdigung hat mich danach mega motiviert. Das war aber nicht immer so: Als ich angefangen habe zu produzieren, hatte ich zugegebenermassen eine ziemlich schlechte Einstellung zu alledem. Ich sah mich als eine Art modernen Erik Satie, der völlig unbekannt stirbt. Ehrlicherweise hat mich diese Vorstellung damals aber auch irgendwie glücklich gemacht: Für mich hätte es lange Zeit gereicht, einfach meine Songs zu schreiben und bis an mein Lebensende in irgendwelchen dunklen Bars zu jobben – denn durch den Erfolg kam ziemlich schnell auch der Druck, immer besser sein zu müssen. Das hat sich irgendwann spürbar negativ auf meine Kreativität ausgewirkt. Momentan befinde ich mich in einem interessanten Mix aus Experimentierfreudigkeit und dem Wunsch, meinen Fans als bekannte Jessiquoi erhalten zu bleiben.

Warst du eigentlich schon als Kind ein kleiner «Rebel» wie es der Titel einer deiner Songs suggeriert, oder kam diese Facette erst später in deinem Leben?

(Lacht) Ich war ehrlich gesagt beides! Einerseits war ich ziemlich schüchtern und wurde nach Schwierigkeiten in der Schule sogar ein ganzes Jahr zuhause unterrichtet. In dieser Zeit war ich viel in der Natur, lebte quasi in meiner eigenen kleinen Welt. Diese zwischenmenschliche Pause war aber das beste, was mir passieren konnte: Danach war ich wie befreit, und als ich in meine Schulklasse zurück kehrte, fand ich auch sehr schnell Freunde. Dass ich irgendwie anders war, fühlte ich aber schon als Kind, das hat sich nie wirklich geändert. Im Gymnasium hier in der Schweiz bekam ich dann gravierendere Schwierigkeiten mit meiner rebellischen Art, und wäre zweimal fast von der Schule geflogen. Ich hatte Probleme damit, in diese vorgefertigten Schubladen zu passen, mich anzupassen.

Ursprünglich kommst du ja aus Australien, hast dort auch einen beträchtlichen Teil deines Lebens verbracht. Was würdest du sagen sind die grössten Unterschiede zur Schweiz?

Hier habe ich das Gefühl, mich nie komplett so geben zu können wie ich gerne wäre, zumindest was mein Erscheinungsbild angeht. Wenn du dich zu auffällig kleidest, wirst du schnell angestarrt – in den Grossstädten Australiens interessiert es keinen, wie du rumläufst. Dieses Gefühl fehlt mir hier oft. Andererseits ist die Schweiz von sehr viel mehr Vielfalt umgeben als das «abgeschottete» Australien: Hier kommen weitaus mehr kulturelle Einflüsse zusammen, das gefällt mir sehr. Auch findest du hier zahllose kleine Festivals, Pop-Ups und Clubs, das unterscheidet sich schon. Nicht zu vergessen die Kunstfinanzierung, die zwar auch in der Schweiz weitaus üppiger sein dürfte, aber dennoch um einiges grosszügiger ausfällt als in Australien.

Hättest du nicht die Figur der Jessiquoi erschaffen, wäre es gut möglich, dass du eine Karriere als Profitänzerin angestrebt hättest. Warum hast du dich schliesslich gegen diesen Weg entschieden?

In Sydney gibt es eine spezielle Highschool für Kids, die auf eine Tanzkarriere hin arbeiten. Ich habe damals die Aufnahmeprüfung bestanden und glaube immer noch, dass ich es hätte schaffen können. Wir kamen allerdings kurz darauf in die Schweiz, und hier gab es damals keine Schule mit dem gleichen Angebot. Also habe ich mich von diesem Weg verabschiedet. Musik hat mich aber immer begleitet und ich wusste trotzdem, dass ich sie irgendwie in mein Leben integrieren würde.

The Sentry, die erste Vorabsingle von ihrem neuen Album.

Gibt es einen Künstler oder eine Künsterin, mit der du dir eine zukünftige Kollaboration vorstellen könntest?

(Überlegt kurz). Ich bin sehr wählerisch, was das angeht. In der Vergangenheit gab es Kollaborationen, die mich -fast beziehungs-ähnlich- sehr verletzt haben, weil es aus irgend einem Grund am Ende nicht passte. Ich glaube, ich befinde mich deswegen in einer Art Selbstschutz-Modus. Sollte ich aber merken, dass man es ernst mit mir meint, bin ich zukünftiger Zusammenarbeit definitiv nicht abgeneigt.

Da draussen gibt es sicherlich junge Menschen, die dich und das, was du tust, bewundern. Was würdest du ihnen als Tipp mit auf den Weg geben, wenn sie mit einer Karriere in der Musikbranche liebäugeln?

Ich würde ihnen raten, Auftritte nicht zu unterschätzen. Durch meine diversen Livegigs haben sich mir innerhalb kürzester Zeit ständig neue Türen geöffnet, Mund zu Mund-Propaganda kann einem also wirklich unglaublich viel helfen. Ich finde es sehr viel wichtiger, möglichst viel Energie darauf zu verwenden, dass deine Shows die Leute begeistern, auch wenn deine Demotapes vielleicht noch weit davon entfernt sind, perfekt zu sein.

Und zum Schluss, kannst du uns schon etwas über neue Projekte verraten, die vielleicht bereits in Planung sind?

Im Augenblick bin ich noch etwas zurückhaltend damit, Details zu verraten. Menschen die meine Musik mögen dürfen aber sicherlich erfahren, dass ich dabei bin, mich stetig weiter zu entwickeln. Ich habe vor, noch mehr von meinem Innersten in meine Songs zu packen, es dürfte also noch persönlicher werden. Mehr sei an dieser Stelle aber nicht verraten!

Do 23.05. 2019