Zurück

Brasserie Lorraine: Hippies im Kopf plus mindestens eine Stufe légère

Die Brass Lorraine ist eine feste Grösse im Berner Quartier: Ob im Garten oder im heimeligen Interieur, die Gäste schätzen die bewährte Kost und willkommen heissende Bedienung. Für uns kein Grund, der guten Brass nicht aufs Neue einen Besuch abzustatten. Das Stadtzmittag zurück aus den Sommerferien. Von Maurice Angst

Sobald in irgendwelchen Gesprächen der Name der «Genossenschaft Brasserie Lorraine» fällt, denkt manch einer, oder zumindest der Autor dieses Berichts, erst einmal an ungestörte Geselligkeit, an zu viel Bier, Raucherwaren sowieso. Seit Neuestem jedoch schenkt er diesen fragwürdigen Erinnerungen sowie eventuellen Vorurteilen auch einfach mal ein müdes Grinsen, sieht dafür umso mehr von Speis & Trank, sieht diese mit feinem Essen ordentlich beladenen Teller vor sich. Und er sinniert ein wenig jener ernsthaften Freundlichkeit dort in dieser kultigen Beiz namens Brasserie Lorraine nach.

 

img_1840

 

Garten-Idylle statt Asphalt-Chic

Es stellt sich einem anderswo manchmal die Frage, ob man das Sommersaison-Mobiliar, das vor den Eingangsbereichen gewisser Innenstadt-Restaurants rumsteht, nicht noch ein Mü hässlicher hätte wählen können. Etwas sehr militärisch hergerichtet mutet es an, quadratische Tische und misslungene Stühle in Reih und Glied, und trotzdem immer sowas von überproppenvoll! Mit Gärten hingegen, den gepflegten sowie den wilden, mit ihren Terrassen und Toren, ihrer Architektur und ihrem Schmuck, verbinden wir immer was traumhaft Heimeliges. In ihnen ist’s Baumeln, das Geniessen zuhaus. Wer sich hin und wieder achtet, wird sich noch wundern, wie viele Schönheiten und Variationen davon einzig in Bern zu finden sind. Als eine der hervorzuhebenden Perlen unter ihnen muss unmissverständlich das Vorhöfchen der Brasserie in der Lorraine erwähnt, gewahrt und festgehalten werden. Das ist dort also – man braucht nur einzutreten – eine ganz eigene, kleine Welt um die Ecke. Das Laub und die Astwerke fülliger Bäume schlucken den Lärm der Hauptstrasse, Musik ist zu hören, und zwar gute, so wie’s sein soll, und irgendwie macht der Tag fast wie automatisch gleich auf plus mindestens eine Stufe légère.

 

 

Ihre Bestellung, bitte

Hier hechtet dir jedenfalls keiner schon in der Quartiergasse in den Weg und will, trotz augenkrebserregendem Schürzchen um die Hüften, besser wissen, wo die bevorzugten Plätze sind. Du wirst sehr dezent als neuer Gast zur Kenntnis, fürs Erste jedoch ein Weilchen in Ruhe gelassen. Was man womöglich als äusserst zuvorkommend betrachten könnte, bleibt einem so doch genügend Zeit, sich mit dieser plötzlichen Ruhe, den kunstvoll aber simplen Tischen, den Totenschädeln am Servicegewand und der restlichen, an diesem Tag eher überschaubaren Kundschaft auseinanderzusetzen. Und schliesslich mit der handgeschriebenen, gnädigen Menütafel. Gibt es doch nichts Schlimmeres, als irgendwo erst gerade angekommen zu sein und sich mit hungrigem Bäuchlein bereits für eine Mahlzeit unter Dutzenden entscheiden zu müssen. Die Anzahl von vier Tagesgerichten erleichtert einem den Selektionsprozess zwar schon, doch doch, aber einfach ist und wird es nie. Ausser für Veganer; sie haben ein einziges zur Auswahl. Immerhin. Ja, und so kann’s auch bei einer kleinen Auswahl mal vorkommen, dass man leicht fernwehmütig ein exotisches Soja-Gemüse-Chili im Fladenbrot dazu Joghurt Dip, oder auch die reifen, gesunden Ofenauberginen an vielversprechendem Baumnusspesto mit Reis und Peperonata oder ein gluschtiges Rindsragout (CH, Bio, versteht sich) neben einer Kräuterpolenta und frischem Gemüse aus dem engeren Favoritenkreis streichen muss.

 

img_1846

 

Tischgedanken: Vieles, nur nicht «wääh»

Ich habe mich noch nicht fertig gefragt, was genau mich eigentlich davon abhält, dem Körper zu zeigen, wer der Chef ist, auf Gepflogenheiten zu pfeifen und gleich alle vier Gerichte zu bestellen, serviert mir ein Worte wie Schätze hütender, kruselköpfiger Typ auch schon die Gemüsesuppe zum Entrée. Hier, das merkt man doch relativ schnell, arbeiten Jungs und Mädels, weil ihnen dieses Haus mit seinem Spirit, die Ideen darin, wichtig sind. Erwischt man mal ein Lächeln von ihnen, ist es mit Sicherheit ein Ehrliches.

Während ich munter drauf los löffele und es prima mundet, kann ich mir ohne Weiteres vorstellen, hier auch mal mit dem Grosi zu mampfen. Ihr gefiele dies Etablissement bestimmt nicht minder als mir, und sollte ein immer kühler werdender Wind ihr draussen auf der Terrasse langsam Unbehagen bescheren, gingen wir einfach hinein in die warme Stube aus edlem Holz und wir würden scrabbeln oder halt eins jassen. Und jetzt tagträumts irgendwie auch noch den Til Schweiger zu mir an den Tisch und ich beginne, mich ob dieser Wende zu wundern und zu sorgen.

 

img_1830

 

Doch muss das einzig am Coq au vin (Freiland) mit den hausgemachten Nudeln (überhaupt wird selbst gemacht, was selbst gemacht werden kann, und das merkt man herrlich) und den grünen Bohnen liegen, das nun unter meinem routinierten Wirtesohnblick noch dampfend frohlockt. Na denn, bis später dann… Oh, dies Coq au vin ist vieles, nur nicht «wääh»!

 

img_1824

 

Klischees und verdammt willkommen

«Verrat am dolce vita!» müsste man schimpfen, rundete man diesen gelungenen Besuch nicht mit einer Tasse kräftigstem Kaffee ab. Denn merke: Sitzen zur Mittagszeit Männer orientalischer Herkunft im Lokal, darfst du den Kaffee nicht nur absolut bedenkenlos bestellen, sondern du musst. Nichtsdestotrotz, schlägt man hingegen den Kumpels zwischendurch wieder mal fürs heut-Abend-gemütlich-was-trinken-gehn die «Brass» vor, sind es nicht immer Begeisterungsstürme, die einem entgegen schwappen. Manch einer hat halt so Bilder von barfüssigen Hippies im Kopf, von unleserlich sozialistischen Parolen auf zahllosen, vergilbten Transparenten und von den Gezeiten geschändeten Tibetfähnchen, von eigenwillig gekleideten Lebemenschen, Einzelgängern, Spiel-Launischen, Künstlern. Klischee, Klischee, denkt da der Weltenbürger. Echt alles bloss Klischee? Fest steht: Sie eckt auch ein bisschen an bei den Leuten, die Brass. Und das mag tatsächlich daher kommen, dass dort seit nun mehr 15 Jahren nicht nur die Tassen, sondern ebenso beflissen kostbare Werte und Kampfgeist hochgehalten werden. Solange du aber lebst und leben lässt, darauf anstossen magst und vielleicht auch grade Bock auf was Leckeres zwischen die Zähne hast, heisst man dich hier wirklich jederzeit von ganzem Herzen verdammt willkommen. Peace.

 

img_1832

 

Infos

Der Autor hat für sein Mittagsmenu bezahlt:
Coq au vin 18.-
5dl Coca Cola 5.50
Espresso 3.80

Restaurant Genossenschaft
Brasserie Lorraine
Quartiergasse 17
3013 Bern
Tel. 031 332 39 29
info(ät)brasserie-lorraine.ch
http://brasserie-lorraine.ch

DI - SA 09:00 - 00:30
Sonntag 10:00 - 00:30
Ab 03. Oktober montags wieder geschlossen.

Mo 26.09. 2016