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Hin und weg #8: Das Herz von St. Pauli

St. Pauli ist: Herzstück Hamburgs, verruchter Hafenbezirk, Rotlichtviertel, hippes Touristennest, Welthauptort versoffener Junggessellenabschiede. St. Pauli ist aber vor allem eines: Braun-Weiss. Von Kevin McLaughlin

Kaum jemand, dem oder der der FC St. Pauli kein Begriff ist. So abgedroschen das klingt: Der „magische FC“ ist weit mehr als ein Fussballclub. Als einer der wenigen Profivereine – und im Gegensatz zu einem nicht namentlich genannten Erstliga-Verein aus dem Vorort Stellingen (bei dem der Spielbetrieb in eine AG ausgegliedert wurde, um genau das zu verhindern) – ist der FC St. Pauli nicht nur basisdemokratisch und alle Mitglieder können somit aktiv mitbestimmen, sondern hat sich auch einer Ideologie verschrieben, der sich alle Supporter anhängen. Klar, Fussball ist wichtig, aber Menschenrechte, ob nun von Flüchtlingen, LGBT, oder sonstigen unterdrückten Gruppen sind auch wichtig: Kein Mensch ist illegal. So steht es gross über eine komplette Seite des heimischen Millerntor Stadions geschrieben.

Das sind auch keine Lippenbekenntnisse seitens des Vereins: Der FC St. Pauli ist Heimat geworden für den FC Lampedusa, schaltet sich in den öffentlichen Diskurs ein, verbietet schon auch einmal der deutschen Nationalmannschaft das Training im Stadion (so geschehen, weil diese den Schriftzug „Kein Fussball den Faschisten“ abgedeckt hatten). Verein und Fans setzen sich aktiv ein gegen Homophobie und Sexismus in Wort und Tat. Vor den Spielen laufen vorzugsweise antifaschistische Lieder, beim Club ist vergleichsweise wenig an Sponsoren verkauft. Und obwohl sich der FC St. Pauli in Sachen erfolgreicher Eigenvermarktung wohl in den vordersten Rängen befindet, werden diese Schritte immer kritisch begleitet und kontrovers diskutiert durch verschiedene vereinsinterne und -externe Gremien.

Dieses Gefühl, dass es sich hier um mehr als nur einen Fussballclub handelt, lässt sich auch im Stadtbild nachlesen. Da wären die allgegenwärtigen Totenkopffahnen, die Kleber an allen Strassenschildern zwischen Billstedt und Blankenese (mit einigen ideologischen Blindgängern in Rautenform) und die Vereinsinsignien (und natürlich weitere Totenköpfe), die es gefühlt auf der Kleidung jeder zweiten Person zu entdecken gibt.

Aber Fussball ist natürlich trotzdem wichtig beim FC St. Pauli – die über 29.000 Fans pilgern nicht Woche für Woche zum Heiligengeistfeld nur aus Spass an der Freude. Und die Freude, die fehlt in dieser Spielzeit bisher. Klägliche sechs Punkte gab es aus den ersten 14 Spielen. Der Verein steht abgeschlagen am Ende der Tabelle, der Gang in die 3. Liga droht. Ein Horrorszenario, wie damals 2004 (und vor zwei Jahren beinahe). Trotz schwierigen Zeiten hält das Präsidium am beliebten Trainer Ewald „Chewald“ Lienen fest und setzt sein Vertrauen darauf, dass er den Weg aus der Misere findet. Ein Weg, den die Fans des FC St. Pauli mit ihrer Mannschaft gehen wollen, so steinig er auch sein wird.

Trotz schlechter Leistungen der Mannschaft, wiederholten Nackenschlägen und Verletzungsmisere: Kommt der Spieltag, stehen die Fans im ausverkauften Millerntor hinter ihren „Boys in Brown“ und singen vor Anpfiff voller Inbrunst den alten Klassiker „Das Herz von St. Pauli“ in der Hoffnung, dass heute die besseren Zeiten anbrechen, dass das Herzstück des Stadtteils seinen Tritt wieder findet und in den kommenden Monaten in der Tabelle klettern und zumindest den drittletzten Platz erreichen kann, der immerhin nicht den direkten Abstieg bedeuten würde. Das Herz von St. Pauli blutet. Aber noch schlägt es.

 Das Original des Liedes von Hamburger Ikone Hans Albers …

… und hier die Fassung aus dem Stadion. Die wichtige Stelle beginnt ab Minute 02:30 – natürlich wird trotzdem das ganze Video empfohlen.

Infos

Der ehemalige BM-Chefredaktor Kevin Mc Loughlin hat den Anker an der Berner Aare gelichtet und seine neue Heimat in Hamburg gefunden. Ganz verlassen hat er den Bewegungsmelder zum Glück nicht: Jeden Monat berichtet er uns über seine Abenteuer und tischt uns womöglich reichlich Seemansgarn auf. Ach ja, der Titel der einzelnen Kolumnen sind jeweils Songtitel von Bands aus Hamburg. Den dazugehörigen Song gibt es am Ende der aktuellen Ausgabe zu finden. Ahoi!

Do 01.12. 2016