Zurück

Hin und weg #7: Aus meiner Festung

Pegida, Identitäre, AfD und die Rückkehr des Rassismus in die gesellschaftliche Mitte. Der politische Diskurs in Deutschland ist vergiftet. Eine Tirade. Von Kevin Mc Loughlin

Politisch ist Hamburg vergleichbar mit der Stadt Bern: Vor allem im Zentrum sehr links, in den Randzonen mit konservativen Schwenkern. So wurde letztes Jahr zwar auch hier die AfD in die Bürgerschaft gewählt, blieb aber mit 8 von 121 Sitzen (gegenüber 58 SPD, 20 CDU, 15 Grünen, 11 Linken) eher vernachlässigbar. Eine Pegida-Demonstration in der Stadt ist ebenso undenkbar, wie die Schliessung der Roten Flora oder eine sportlich gute Saison des HSV.

Die (wenigstens nicht massgebliche) Erstarkung der rechten Trollpartei AfD in der Stadt ist leider ein Zeichen einer Diskursverschiebung auf bundesdeutscher Ebene. Und so schauen auch die Menschen in Hamburg vermehrt skeptisch auf das politische Geschehen, auch wenn die Bundestagswahl erst in einem Jahr und die nächste Bürgerschaftswahl sogar erst 2020 stattfinden. Letzthin wurde im fast-Nachbarland Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Das bevölkerungsärmste Land Deutschlands, das vor allem für seine Ostseestrände bekannt ist, brachte es zustande, die AfD mit fast 21% zur zweitstärksten Partei hinter der SPD zu machen. Und das bei einem Ausländeranteil von 3,7%. Oder in Zahlen: 68.307 Ausländer. Dazu gehören nicht nur die Asylsuchenden, sondern alle im Bundesland lebenden Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft. Zum Vergleich: In der Stadt Hamburg wohnen (Kolumnenschreiber inklusive) 245.186 Ausländer.

Trotzdem haben besorgte Bürger Angst vor dem von rechts propagierten bösen Wolf im Asylpelz, lehnen publizierte Statistiken als Propaganda der Lügenpresse ab, argumentieren ihrerseits mit nachweislich frei erfundenen Zahlen, greifen zuweilen sichtlich verängstigte Flüchtlinge an. Der Ton hat sich geändert, auch hier in Deutschland. Im Zeitalter der «Post-Truth»-Politik gewinnt oftmals derjenige, der am lautesten schreit. Es sind haarsträubende Aussagen, die es unterdessen in Deutschland zu hören und lesen gibt, und die immer weniger Menschen zu stören scheinen.

Damit einher geht ein Anstieg von Bewegungen in immer weiter nach rechts driftenden Spektren, und mit immer offener rassistischen Tendenzen, der sich nahezu in Echtzeit beobachten lässt. Da wäre zum Beispiel die Identitäre Bewegung und die davon abgespaltene Identitäre Aktion. Kennt Ihr nicht? Das sind so eine Art völkische Hipster. Schon nur die Lektüre ihrer ethnopluralistischen Ideen und Ansichten reicht aus, um regelrecht zu merken, wie die eigenen Hirnzellen schreiend den Freitod wählen. Wem diese Leute noch nicht dumm genug sind, kann bei der Pegida oder – noch besser – der HOGESA anklopfen. Bei den «Hooligans gegen Salafisten» reicht wohl die ausgeschriebene Abkürzung als Erklärung aus. Weitere ähnlich intellektuell hochstehende Vereinigungen werden gefühlt im Wochentakt gegründet.

Die Frage stellt sich, wie Leute in einem so flachen Land einen derart beschränkten Horizont aufweisen können. Wenigstens Hamburg steht dem zurzeit noch entgegen. Und aus dieser Festung sehe ich nach draussen. Und beobachte gerade leider sehr viel braunen Dreck.

 

Infos

Der ehemalige BM-Chefredaktor Kevin Mc Loughlin hat den Anker an der Berner Aare gelichtet und seine neue Heimat in Hamburg gefunden. Ganz verlassen hat er den Bewegungsmelder zum Glück nicht: Jeden Monat berichtet er uns über seine Abenteuer und tischt uns womöglich reichlich Seemansgarn auf. Ach ja, der Titel der einzelnen Kolumnen sind jeweils Songtitel von Bands aus Hamburg. Den dazugehörigen Song gibt es am Ende der aktuellen Ausgabe zu finden. Ahoi!

Di 20.09. 2016