Fanmeilen, besoffener Chorgesang, nach allen Regeln des Kapitalismus ausgelegte Spiele, rechte Nazihools, Leute ohne Ahnung von gar nix, die plötzlich Experten für alles sind. Es ist wieder EM. Schrecklich. Aber in solchen Momenten wird einem dann klar, was man am Fussball sonst eigentlich hat. Von Kevin Mc Loughlin
Fussball, das ist in Hamburg vor allem einmal der FC St. Pauli. Und dazu wird es im Herbst einen eigenen Beitrag in dieser Kolumne geben. Aber Fussball, das sind in Hamburg auch die Kreisklasse, Kreisliga, Bezirksliga, Landesliga und Oberliga, in denen insgesamt 459 Mannschaften antreten. Ach ja, wenn man in die Vororte geht, gibt es sogar die 1. Bundesliga mit dem HSV. Aber hier geht es ja um Hamburg und nicht Pinneberg oder Harburg.
Als Bewohner von Hamburg-Altona schielt man generell mit einem Auge auf Altona 93 – oder den Altonaer Fußball-Club von 1893 e.V., wie er offiziell heisst. Der Club im Westen der Stadt geniesst nicht nur wegen seines schmucken alten Stadions – mit dem fantastischen Namen Adolf-Jäger-Kampfbahn – Kultstatus und zieht trotz Zugehörigkeit zur lediglich fünfthöchsten Liga Deutschlands viele Zuschauer an – der Schnitt ist knapp unter dem des Grasshopper Clubs, dem einzigen Super League Club aus der «Millionenstadt» Zürich.
Altona 93 brüstet sich damit, alles andere als ein normaler Club zu sein («1893 statt 0815») und das tun sie wohl zu recht. Das liegt zum einen an der alternativen Ausrichtung, die der Verein aus der Landesoberliga unbestritten hat. Zum anderen aber vor allem auch an den vielen und lautstarken Fans. Auf der Adolf-Jäger-Kampfbahn werden Akzeptanz, Toleranz und Integration nicht nur auf verschiedensten Bannern proklamiert. Hier werden diese Werte gelebt. Es ist wohl der einzige Ort in ganz Hamburg, an dem sich sonst spinnefeind gesinnte St. Pauli- und HSV-Fans friedlich zuprosten und zusammen zum Einzählen anstimmen: «91! 92! 93! Altona!» Und hier kann es schon vorkommen, dass man plötzlich Zeuge wird, wie eine Gruppe Neonazis, die sich aus unerfindlichen Gründen an ein Spiel verirrt hat, kurzerhand handfest aus dem Stadion gebeten wird (die schauen dann halt wahrscheinlich «Schland!»-rufend EM auf der offiziellen Fanmeile).
«So muss es sein», möchte man rufen. Hier ist der Rasen noch holprig, die Grätsche blutig, das Bier frisch gezapft und die Wurst vom Metzger gegenüber. Der Eintritt ist mit 5 Euro ziemlich günstig. Wer aber nicht zahlen will oder kann, muss auch nicht. Es gibt die Option mit den Punks auf den «Zeckenhügel» zu gehen, der hinter dem einen Tor ist. Hier fahren sie bei den Heimspielen jeweils mit einem alten Traktor auf. Auch das ist Altona 93.
Und sportlich? Nun, nach einem verpatzten Saisonbeginn und Platzierung auf einem Abstiegsplatz legte 93 eine ausgedehnte Serie ohne Niederlage hin und qualifizierte sich schlussendlich souverän für die Aufstiegsrelegation. Dort spielten sie gute Spiele, waren faktisch schon aufgestiegen. Bis ihnen wortwörtlich in der letzten Minute zwei Elfmeter – einer gegen sie in der 94. und einer für einen Konkurrenten im Parallelspiel in der 92. Minute – den Aufstieg in extremis noch vermasselten. Auch das ist Altona 93. Nun geht es ein weiteres Jahr in der Landesoberliga Hamburg gegen Teams wie den FC Süderelbe 1949 oder Condor Hamburg. Und für so etwas, da geb ich gerne mein letztes Geld aus. Zumal die Auswärtsspiele alle mit der S- oder sogar U-Bahn erreichbar sind.
Das Titelfoto stammt übrigens nicht von einem Spiel der 1. Mannschaft, sondern vom letzten Spiel im (verlorenen) Abstiegskampf der Altona Deerns, der Frauenmannschaft. Und das heutige Lied kommt von einem Hamburger Schlagersänger namens Tony, der in den 70er Jahren seine Blütezeit hatte. Für eine Benefizplatte zu Gunsten des (ebenfalls äusserst sympathischen) Hamburger Stadtclubs Barmbek-Uhlenhorst hat er seinerzeit einen seiner grössten Hits kurzum umgedichtet und damit eine Kultnummer abgeliefert, die noch heute in wohl fast jedem Hamburger Stadion gesungen wird.