Zurück

Hin und weg #17: Freunde sind Friends

Im Frühling werden die Nächte kürzer, die Abende länger und die Fussballsaison neigt sich dem Ende zu. Spätestens jetzt stellen sich die essentiellen Fragen, wie: Welche Stadt ist denn nun eigentlich die schönste und welcher Verein macht glücklicher? Von Kevin McLoughlin

«Hamburg, schönste Stadt der Welt» – ein geflügeltes Wort, hier im Norden schon fast ein Mantra. Als Exil-Berner mutet das zuweilen schon ein wenig komisch an. Was bitte soll denn einen Aareschwumm um die Altstadt mit dem Alpenpanorama im Rücken und anschliessendem Felsenau oder 523 auf der Lorrainebad-Wiese übertreffen können? Die Faktenlage ist da eigentlich klar.

Klar ist Hamburg eine schöne, ja eine sehr schöne Stadt: Mit Speicherstadt, Jungfernstieg, Alt- und Neustadt, dem Hafen, Fischmarkt, und und und. Aber Bergpanorama oder ein Fluss, in dem ein Bad nicht das Risiko gesundheitlicher Schäden durch Frachtschiffe und Wasserverschmutzung nach sich zieht? Fehlanzeige. Zudem bietet Hamburg gefühlt 360 Regentage im Jahr. Laut Statistik sind es zwar lediglich 133 – aber äbe, he: Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. 360 it is!

Wenn dann aber, so geschehen vergangenes Wochenende, die Sonne durchbricht und sich Hamburg unter strahlend blauem Himmel präsentiert, dann zieht sich auch beim Exil-Berner ein wenig das Herz zusammen und der Atem stockt ab der Schönheit dieser Weltstadt. Egal ob bei einem Spaziergang entlang der Außenalster, einem Eis auf dem Altonaer Balkon oder einem Ratsherrn Pils am Elbstrand (und gutes Bier, das beherrschen sie hier oben ja sowieso). Dieses Hamburg, das kann schon was. Im Sommer dann noch die ewig langen Tage – die knapp 1’000 Kilometer Unterschied im Breitegrad fallen ziemlich ins Gewicht – und plötzlich erschliesst sich einem der Zauber dieser Stadt. Klar, Berge sucht man hier vergebens – dafür gibt es einen weiten Horizont. Das wusste schon Jan Delay 1995 als Gastrapper im Fettes Brot-Track «Nordisch by Nature». Und wer schwimmen will, kann an die Dover-Elbe, einen Nebenarm des Flusses, oder ist in einer knappen Stunde an Nord- oder Ostsee.

Schön und erfreulich geht es gerade auch im Sport zu, zumindest in Bern. Die weltberühmten Berner Young Boys eilen von Erfolg zu Erfolg und stehen vor der Vollendung einer legendären Saison. YB macht in diesen Tagen definitiv glücklich und auch aus der Distanz wird hier mitgefiebert. Meistens mit illegalen Streams, weil es trotz 2018 noch immer keine Möglichkeit gibt, die Spiele aus dem Ausland legal zu schauen (Hallo SRF/SFL/Teleclub and Friends: Ich würde wirklich gutes Geld zahlen. Und Euro könnt Ihr in der Bank in Franken tauschen. Das funktioniert imfall echt gut), aber wenn auch das Bild ruckelt und der Kommentar in einer fremden Sprache ist: Die Freude über das Dargebotene ist schier unermesslich. Einzig das Feiern aus solch grosser Distanz füllt den Becher ein wenig mit Wehmut. Wie schön wäre es, Wochenende für Wochenende mit den Freund*innen im Wankdorf zu stehen und dem Ende der Spielzeit nicht aus solcher Distanz entgegenzufiebern.

Dem Ende entgegenfiebern wird auch in Hamburg vollzogen. Allerdings eher mit einem flauen Gefühl im Magen und der Hoffnung, es komme nicht so schlimm, wie es gerade den Anschein macht. Während nämlich YB von Sieg zu Sieg eilt, tritt der FC St. Pauli seit einiger Zeit auf der Stelle und hat sich innerhalb weniger Tage aus dem Kampf um den Aufstieg ab- und direkt beim Fight gegen den Abstieg angemeldet. Waren es vor ein paar Wochen noch drei Punkte Rückstand auf den Relegationsplatz nach oben, steht man auf dem äquivalenten Platz nach unten. Und das bei einer sehr schlechten Tordifferenz. Die Alarmglocken schrillen, die Verunsicherung ist beinahe greifbar und eine gewisse Ratlosigkeit macht sich bei Verein und Gefolgschaft bemerkbar. Der Abstiegskampf hat definitiv begonnen, nur scheint das noch nicht bei allen angekommen zu sein. Wie früher bei YB gilt dieses Jahr beim FC St. Pauli für die restlichen Spiele das Prinzip Hoffnung. Ein Abstieg in die dritte Liga wäre ein absolutes Worst-Case-Szenario.

Immerhin leben wir nachweislich in einer der zwei schönsten Städte der Welt. Wer das Rennen zwischen Bern und Hambrug nun gewinnt, lassen wir einfach mal offen. Und 50% der sportlichen Abteilung übertrifft gerade alle Erwartungen. Sollte die andere Hälfte wirklich komplett einbrechen, wäre das zwar wirklich tragisch und eine unstete Zukunft stünde bevor. Aber eigentlich ist das am Ende alles doch gar nicht so wichtig, möchte man sagen, während sich gerade die Sonne langsam hinter dem Köhlfleet-Hafen in die Elbe senkt. Wichtiger ist die gute Zeit mit guten Leuten. Und das gilt dann in Hamburg wie auch in Bern: Freunde sind Friends.

Infos

Der ehemalige BM-Chefredaktor Kevin Mc Loughlin hat den Anker an der Berner Aare gelichtet und seine neue Heimat in Hamburg gefunden. Ganz verlassen hat er den Bewegungsmelder zum Glück nicht: Jeden Monat berichtet er uns über seine Abenteuer und tischt uns womöglich reichlich Seemansgarn auf. Ach ja, die wechselnden Titel seiner jeweiligen Hin und weg-Kolumnen entsprechen dem mitgelieferten, monatlichen Songbeitrag einer Hamburger Band. Den dazugehörigen Song gibt es am Ende der aktuellen Ausgabe zu finden. Ahoi!

Di 17.04. 2018