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Hin und weg #15: Wie siehts aus in Hamburg

Hamburg hat 13x mehr Einwohner und knapp das 15-fache an Fläche gegenüber Bern. Bern das Kaff, Hamburg die Weltstadt? So einfach ist das nicht. Gedanken aus dem herbstlichen Nieselregen. Von Kevin Mc Loughlin

Wie gross dieses Hamburg ist, das merkt man eigentlich nur zwischendurch. Plötzlich fällt es wieder auf: Wenn man eben kurz mit dem Fahrrad in ein anderes Viertel will und 90 Minuten später völlig verschwitzt ankommt, nachdem man fast 20 km durch den Beton-Dschungel geradelt ist. Wenn man die Zeitung aufschlägt und von Bandenkriegen im Rotlichtmilieu liest. Wenn man versucht während der Rush Hour mit dem öffentlichen Verkehr zu reisen – oder noch schlimmer: In derselben Zeit auf dem Fahrrad durch die Stadt fährt (Stau auch für Fahrräder: it‘s real).

In solche Situationen denken wir häufig mit einer Art belächelnder Nostalgie an das gute, alte Bern zurück. Wo es uns noch genervt hat, mehr als 10 Minuten gehen zu müssen um irgendwo hinzukommen, oder wenn die nächste Tramhaltestelle nicht direkt vor der Tür lag. Wo der Zibelemärit fast den grössten Aufreger des Jahres bringt. Wo wir nicht wussten wohin wir an einem Montag gehen sollten, weil doch überall Wirtesonntag war. Wo ein knappes hundert antifaschistischer Demonstranten beim Sicherheitsdirektor zu Panikattacken führen. Und vor allem: Wo irgendwie jeder und jede jede und jeden kennt.

Aber sind die Unterschiede wirklich so gross? Ist Bern das Kaff und Hamburg die Weltstadt? Immerhin kamen in Bern noch keine Wutbürger aus den Löchern gekrochen um den Vorplatz zu reinigen, dabei mal eben die Reitschule von allen Graffiti zu entfernen und sich danach vom Boulevard und der städtischen Politik noch feiern zu lassen (so passiert nach G20 im Schanzenviertel). Immerhin hat man in Bern überall Empfang und kommt ohne weiteres ins Internet. Und à propos Internet: Immerhin gibt es in Bern, egal wo, ohne Frage schnelles Internet. Je nach je kann es in Hamburg sein, dass eine 16.000er-Leitung das höchste der Gefühle ist (und dann viel Spass mit Netflix und Co).

Klar, in Hamburg lässt sich jeden Abend mindestens irgendwo ein gutes Konzert sehen – so gab es für uns in den letzten acht Tagen: Big Thief, Cabbage, Aldous Harding, Fai Baba, The Fresh & Onlys und Kellermensch; diese und nächste Woche warten unter anderem Weaves, Alex Lahey, Mac DeMarco, BadBadNotGood und Future Islands. Und natürlich bietet die Stadt mit ihrer hohen Kneipendichte, der guten Clubkultur sowie verschiedenen alternativen Ecken – hallo Flora, hallo Gängeviertel – immer etwas zu tun. Aber Bern kann halt eben auch ziemlich viel, wenn nicht gerade Montag oder Zibelemärit (zudem ja auch noch ein Montag) ist. Schöne Ecken gibt es mehr als genug, gute Menschen ebenfalls. Ein besonderer Gruss geht hierbei noch an die Reitschule und alle zugewandten Orte. Alles Gute zum 30. – und hoffentlich kommt bei euch so schnell kein Wutbürger-Reinigungstrupp vorbei.

 

 

 

Infos

Der ehemalige BM-Chefredaktor Kevin Mc Loughlin hat den Anker an der Berner Aare gelichtet und seine neue Heimat in Hamburg gefunden. Ganz verlassen hat er den Bewegungsmelder zum Glück nicht: Jeden Monat berichtet er uns über seine Abenteuer und tischt uns womöglich reichlich Seemansgarn auf. Ach ja, die wechselnden Titel seiner jeweiligen Hin und weg-Kolumnen entsprechen dem mitgelieferten, monatlichen Songbeitrag einer Hamburger Band. Den dazugehörigen Song gibt es am Ende der aktuellen Ausgabe zu finden. Ahoi!

Di 31.10. 2017