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Hin und Weg #14: Build Me a House

Der Norden wird langsam ein wenig Heimat. Das liegt auch – und vielleicht vor allem – an den nach und nach auffallenden Problemen. Von Kevin McLoughlin

Ganz klar: Es kann was, dieses Hamburg. Und der Schritt vom Quasitourist, der grossäugig durch die Gassen und Viertel wandert zum Quiddje – dem Zugezogenen, der sich hier heimisch fühlt – ist einer, den man gerne nimmt. Die lauen Sommernächte am Elbstrand, das Feierabendpils auf dem Altonaer Balkon, die norddeutsche Angewohnheit am Wochenende stundenlang bis in den späten Nachmittag zu „frühstücken“, die über dem Hafenpanorama kreisenden Möwen, die schiere Anzahl interessanter Konzerte und Events, die tagtäglich in der Stadt zu entdecken sind – die Liste ist endlos lange.

Dass die Integration nun aber offenbar gefruchtet hat, zeigt sich nicht etwa durch die Verwendung ortstypischen Slangs wie „Digger“ oder dem zum „ch“ geschliffenen „g“ (etwa bei „Hamburch“), sondern daran, dass die erste Verliebtheit weicht und auch negative Seiten der Stadt auffallen.  

Am auffälligsten ist die berühmt-berüchtigte Affinität zu Wind und Regen. Hamburgs Modus Operandi heisst „Schietwetter“ – um auf die Bedeutung des plattdeutschen Ausdrucks zu kommen, braucht es ja nicht viel Fantasie. Fortwährend regnet es, bevorzugt waagrecht dank steifer Brise, im Winter wird es kaum taghell und die Sonne lässt sich an der Elbe generell zwischen Oktober und März nicht blicken.

Und, auch wenn es durch die Bindfäden an Regen und Dank des vom Wind ins Gesicht gedrückten Schirms kaum zu sehen ist: Die halbe Stadt besteht aus Baustellen. Ständig sind Strassen gesperrt, werden Häuser abgerissen und neu gebaut, wird die Elbe vertieft oder verlegt. Der Mehrwert lässt sich indes nicht wirklich eruieren. Die wenigen Sachen, die eine Kur nötig hätten – wie etwa die Fahrradwege, die eher an die Dakar-Rallye erinnern als an nordische Eleganz – verkümmern und werden von den Bauwütigen nicht weiter beachtet.

Das wäre alles gar nicht so schlimm, wenn denn der öffentliche Verkehr der Stadt funktionieren würde. Allerdings gehören Verspätungen zum guten Ton und Ausfälle gibt es aufs Haus noch dazu – mehr als einem lieb wäre. Die Konsequenz sind neben ständigem zu-spät-zu-Sachen-kommen, mit griesgrämigen Menschen überfüllte Busse und S-Bahnen. Aber wer will durchnässt nach dem Baustellen-Spiessrutenlauf und erfolgloser Warterei auf den ausgefallenen Bus schon gute Laune vorschützen?

Touristen! Die bringt nämlich gefühlt kaum was aus der Fassung. Selig und leicht dümmlich grinsend stehen sie mit glasigem Blick wahlweise auf ihre Schnappschusskamera oder dem in der Hand befindlichen Fischbrötchen starrend vor Zugausgängen, am Ende der Rolltreppen oder – Klassiker – auf dem Fahrradweg (der dadurch auch nicht befahrbarer wird). Abends rotten sich dann diese Kleingruppen aus der Pfalz oder sonst einem Kaff zusammen und schwanken Junggessellenabschied feiernd auf der Reeperbahn pöbelnd von Touristenfalle zu Touristenfalle.

Schaudernd blickt man da zurück: Schliesslich lagen vor der Immigration auch einige Besuche der Hansestadt spasseshalber. Waren wir etwa auch so? Aber nein, damals waren die Touristen ganz bestimmt nicht ganz so schlimm. Baustellen gab es nicht (jedenfalls nicht in der Schanze). Der öffentliche Verkehr erreichte damals Schweizer Werte. Und das Wetter war auch ganz ausgezeichnet. Es hat nämlich ganz sicher nicht geregnet, oder nicht so viel. Und nicht immer.

 

Die aus Baltimore stammende Sophia Kennedy verschlug es für ihr Studium vor einigen Jahren nach Hamburg. Neulich erschien ihre selbstbetitelte Debütplatte bei DJ Kozes Pampa Label. Es ist die erst Songwriting Platte, die vom Elektro-Label herausgebracht wird. So etwas wie ein Ritterschlag – zu Recht.

Infos

Der ehemalige BM-Chefredaktor Kevin Mc Loughlin hat den Anker an der Berner Aare gelichtet und seine neue Heimat in Hamburg gefunden. Ganz verlassen hat er den Bewegungsmelder zum Glück nicht: Jeden Monat berichtet er uns über seine Abenteuer und tischt uns womöglich reichlich Seemansgarn auf. Ach ja, die wechselnden Titel seiner jeweiligen Hin und weg-Kolumnen entsprechen dem mitgelieferten, monatlichen Songbeitrag einer Hamburger Band. Den dazugehörigen Song gibt es am Ende der aktuellen Ausgabe zu finden. Ahoi!

Mi 05.07. 2017