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Hin und weg #13: Ewald Lienen

Zum sich anbahnenden Sommer ein kleiner Spezialbeitrag zum deutschen Zweitligafussball in zwei Metropolen. Hinter St. Pauli liegt eine Saison, die viel Kraft gekostet, aber auch die Lust auf Spiele neu entfacht hat. Mitverantwortlich sind ein Mann und ein Verein, die sich Automatismen entziehen. Von Kevin Mc Loughlin

Knapp zwei Monate ist es her, da erreichten uns aus Berlin auf digitalem Weg Seitenhiebe von Eisern Kollege Marthaler. „Steigt Ihr ab? Wir steigen auf!“, krakeelte es aus Richtung Alter Försterei. Der FC St. Pauli war zwar gerade dabei eine ganz gute Rückrunde zu spielen, hatte aber die erste Halbrunde so phänomenal in den Sand gesetzt, dass wohl alle Liebesmüh zu spät wäre und das alles nicht mehr reichen würde. Union Berlin hingegen zeigte ihre bis anhin vielleicht stärkste Spielzeit überhaupt, begeisterte mit einer jungen, spielfreudigen Mannschaft und steuerte auch dank des Auswärtssieges am Millerntor in ihrer insgesamt elften Spielzeit in Liga zwei auf den erstmaligen Aufstieg ins Oberhaus zu.

Nun, „im Blick zurück entstehen die Dinge“, wusste bereits Dirk von Lotzow (Tocotronic: „In höchsten Höhen“ – Album: „Pure Vernunft darf niemals siegen“ – L’age d’or, 2005); und so präsentiert sich die Lage Ende Mai ein wenig anders: Union Berlin hat tatsächlich ihre bisher stärkste Spielzeit hingelegt, ist allerdings im Endspurt ein wenig ins Stottern geraten und fungiert nunmehr auf dem vierten Schlussrang. Der FC St. Pauli erreichte drei Spieltage vor Schluss den definitiven Klassenerhalt, spielte die restlichen Partien weiterhin souverän durch und steht nach der sportlich erfolgreichsten Rückrunde der Vereinsgeschichte (34 Punkte aus 17 Spielen) lediglich drei Ränge hinter Union Berlin auf dem siebten Platz.

Zwei erfolgreiche (Halb-)Serien stehen sich hier gegenüber, aber auch zwei unterschiedliche Stimmungen. Überwiegt beim FCSP die Freude an einer tollen Rückrunde, haust in Berlin der Kater des „was wäre wenn“. Allerdings dürften die Unioner auf dieser Leistung aufbauen und nächste Saison voll angreifen können. Gesetzt den Fall, dass sie nicht zu viele Teamstützen verlieren. So kommt es, dass die Bewegungsmelder-Aussenposten in den deutschen Grossstädten zufrieden mit ihren adaptierten Mannschaften sein dürfen – und in heimischen Gefilden gab es bekanntlich den gepachteten zweiten Platz, auch in dieser Saison.

Die erstaunliche Wende beim FC St. Pauli trägt vor allem gegen aussen hin einen Namen: Ewald Lienen. Als er die Mannschaft 2014 in sportlicher Schieflage übernahm, schaffte er in Extremis den Klassenerhalt am letzten Spieltag, was unter anderem das untenstehende spontane Lied und Video Seitens Fettes Brot hervorbrachte. Nach einer erfolgreichen Spielzeit 2015/16, in der St. Pauli wie heuer Eisern Union an der Türe zum Oberhaus kratzte, folgte im Herbst 2016 der Totalabsturz. Fazit: 17 Spiele, 11 Punkte, letzter Rang. Der Verein widerstand in dieser Situation den Mechanismen des Fussballgeschäfts und stellte Lienen nicht etwa frei, sondern stärkte ihm den Rücken. Der Tenor in den Medien und vielerorts auch bei Fans war eindeutig: Ein neuer Trainer muss her. Der Verein blieb stark, Ewald Lienen durfte weitermachen, kriegte gewünschte Verstärkungen im Winter und setzte mit den Boys in Brown zu einem wahren Höhenflug in der Rückrunde an. Frühlingsgefühle nur Hilfsausdruck!

Vergangene Woche gab der FC St. Pauli bekannt, dass Lienen techischer Direktor im Verein und der bisherige Assistent Olaf Janßen neuer Trainer wird. Lienens Art, sein Feuer und vor allem auch sein Engagement ausserhalb des Fussballplatzes wird ihm bei den Fans einen speziellen Platz in der Erinnerung sichern. Nicht zuletzt natürlich auch die gerade vergangene Rückrunde: Ewald Lienen, es reicht wenn wir auf Platz fünfzehn sieben steh’n. Danke!

Infos

Der ehemalige BM-Chefredaktor Kevin Mc Loughlin hat den Anker an der Berner Aare gelichtet und seine neue Heimat in Hamburg gefunden. Ganz verlassen hat er den Bewegungsmelder zum Glück nicht: Jeden Monat berichtet er uns über seine Abenteuer und tischt uns womöglich reichlich Seemansgarn auf. Ach ja, die wechselnden Titel seiner jeweiligen Hin und weg-Kolumnen entsprechen dem mitgelieferten, monatlichen Songbeitrag einer Hamburger Band. Den dazugehörigen Song gibt es am Ende der aktuellen Ausgabe zu finden. Ahoi!

Di 30.05. 2017