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Hallo Stockholm, bis bald Bern #6: Blaues Blut und blaue Nasen

Schweden und die Schweiz haben beide eine Repräsentationsfigur. Der grösste Unterschied besteht wohl darin, dass a) Schweden einen König hat und wir jedes Jahr eine neue Bundespräsidentin oder neuen Bundespräsidenten haben, und dass b) besagte Monarchie volksnaher als der Bundesrat erscheint. Von Saima Sägesser

Das Königshaus hat eine lange Geschichte und viele Gebäude in und um Stockholm herum, erzählen sie. So wird die Monarchie zu einem Tourist*innen-Magneten. Neben den Wikingern sind nämlich das Mittelalter, die Entstehung der Stadt Stockholm und somit auch die Geschichte der Könige allgegenwärtig. Runensteine können an zahlreichen öffentlichen Plätzen entdeckt werden, das Mittelalter-Museum beherbergt einen Teil der alten Stadtmauer und das Schloss in der Altstadt ist für die Öffentlichkeit zugänglich. Will man das Schloss besuchen, kann es allerdings sein, dass nicht alle Räume besichtig werden können, da gerade die Königsfamilie drin weilt. Gibt man sich dem ganzen Monarchie-Kram hin, ertappt man sich schon rasch dabei, wie man der Romantik, dem Prunk und überhaupt, dem ganz bestimmt perfekten Monarchenleben verfällt.

Neben dem Palast befindet sich das Nationalparlament und es gehen Meinungen um, dass dieses Gebäude das Schloss in Sachen Pracht, Ästhetik und Monumentalität überträfe – das sei jeder und jedem selber überlassen zu entscheiden. Neben dem Schloss in Stadtzentrum gibt es weitere, die architektonisch und historisch begeistern. So zum Beispiel die Gebäude im Hagapark, wo die Königserbin mit ihrem Mann und den Kids lebt oder das Schloss in Drottningholm. Dort befindet sich übrigens eines der besterhaltenen Barocktheater der Welt.

Schweden wird dieses Jahr Neuwahlen ihres Reichstags haben. Aber entgegen unseren politischen Abstimmungen und Wahlen, merkt man davon hier noch nicht so viel. Keine Werbung und kaum Gespräche. Ich vermisse unser System. Immer wieder finden Demonstrationen in Stockholm statt, die sind aber auch immer bewilligt. Eine links-autonome Szene, die unbewilligte Märsche organisieren könnte, ist hier nicht sichtbar, wenn sie denn abgesehen vom Kafe44 existieren würde. Überhaupt fällt mir auf, dass die Menschen in Bern individueller aussehen, will heissen «alternativer» und sich passenderweise auch stärker auf der Strasse aktiv beteiligen. Alternative Lebensformen werden zwar auch in Stockholm geführt, öffentlich diskutiert, aber dann mehr im Privaten gelebt. Kinder können geschlechtsneutral erzogen werden und gleichgeschlechtliche Paare dürfen heiraten. Väter haben genauso einen bezahlten Vaterschaftsurlaub wie Mütter. Sieht so aus, als gäbe es kaum Gründe, um hier auf die Strasse zu gehen. Es sind aber die grosse Themen, welche die Menschen zum Aktivismus treiben. So wohnte ich im Januar bei Eiseskälte dem Women’s March bei und eine Woche später marschierten hunderte Menschen gegen den Angriff gegen Afrin. Diese Demonstrationsumzüge sind dann Massenereignisse und legen den Verkehr in der Innenstadt lahm – passiert ja in Bern auch, nur dass hier nicht gesprayt wird.

Vieles funktioniert in Schweden und in seiner Hauptstadt Stockholm tatsächlich besser und wir könnten uns eine grosse Scheibe abschneiden. Warum nicht es gleich tun, wenn es ja offensichtlich funktioniert? Was mir aber auf anhieb auffiel und mich stört, ist die staatliche Kontrolle und der Verkauf von Alkohol. Schweden ist sonst schon ziemlich teuer, aber der Alkohol – eine Stange im Club kostet dann schon Mal neun Stutz. Zudem ist es nicht erlaubt in der Öffentlichkeit zu trinken, abgesehen von einigen Parks. Will ein Club Alkohol verkaufen, müssen sie auch per Gesetz etwas Essbares anbieten. Man versucht hier die Menschen mit vielen Mitteln vom Trinken abzuhalten, aber ekligen Portionssnus stopfen sich alle immer und überall rein. Clubs haben nur bis 03 Uhr morgens geöffnet. Dies garantiert, dass die Nachtschwärmer zu Hause sind, bevor sich andere Menschen frühmorgens auf zur Arbeit machen. Man verhindert so das Aufeinandertreffen bestimmter Bevölkerungsgruppen.

Monarchie und Alkohol-Restriktionen hin oder her, Schweden ist zukunftsweisend. Unterhalte ich mich mit meinen schwedischen Freundinnen, ist der König auch gar kein Thema, der ist halt einfach und die Gespräche richten sich mehr in Richtung Ängste betreffend den anstehenden Wahlen. Vom Rechtsrutsch in Europa blieb auch Schweden nicht ganz verschont. Hoffen wir mal, dass die Stimmbeteiligung hier etwas höher ausfällt als bei uns für gewöhnlich.

Infos

Saima Sägesser ist aus ihrem Langenthaler Nest ausgeflogen, um für ein paar Monate ins verlockende Stockholm zu ziehen. Im Rahmen ihres Studiums an der Uni Bern schaut sie sich die schwedische Metropole mal etwas genauer an und versucht dabei ihren Pflichten und den besonders reizvollen Rechten eines Studentinnenleben nachzugehen. Wie sieht die vertraute Heimat aus der Ferne, aus dem skandinavischen Norden aus? Saima checkt das monatlich in ihrer Kolumne «Hallo Stockholm, bis bald Bern» für euch aus.

Mo 21.05. 2018