Mit bedrücktem Gesichtsausdruck verfolgt Saima, wie ihre Freund*innen ein heisses Frühlingsfoto nach dem anderen in sozialen Netzwerken posten. Aber nein, so schlimm ist das nordische Wetter tatsächlich nicht. Der Winter mag dort länger dauern, aber er war mild und sogar ziemlich schön. Von Saima Sägesser
Während in Bern sich der Schnee rasch schwarz färbt und matschig wird, bleibt er hier, gefriert und lässt alle auf die Fresse fallen – ein heiden Spass. Langsam kommt er aber auch hier, der lang ersehnte Frühling und Stockholm ist nicht mehr wieder zuerkennen. Wo kommen plötzlich all die Menschen her? Wie auf einen Schlag sind die Strassen verstopft, Metros verstopft, Pubs verstopft. Da hilft nur eins – raus in die Natur. Stockholm ist umgeben von Wäldern und Wasser. Besonders die Tatsache, dass sich in Stockholm der weltweit erste Nationalstadtpark befindet, macht das Frischluft-Atmen einfach und erreichbar.
Aber natürlich tummeln sich auch in den städtischen Parks viele Spaziergänger*innen und Jogger*innen. Bisher erschien es mir aber nicht so extrem wie an der Aare entlang, wo ja zur Hochsaison kaum ein freies Plätzchen zu finden ist. Neben den Parks kennen die Stockholmer*innen noch ein weiteres beliebtes Ausflugsziel in die Natur. Geht man bei uns in die Berge, betritt man hier Schiffe und fährt raus in den Schärengarten.
Über 20’000 kleine Inseln finden sich entlang der Küste. Bekanntlich beginnt für die Inselreisen die Saison am 1. Mai, wenn Tourist*innen raus strömen, um ein bisschen Naturnähe, Abgelegenheit und Einsamkeit zu erleben. Da mein Aufenthalt sich hier aber schon bald dem Ende neigt, wollte ich natürlich schon früh den Schärengarten kennenlernen. Es stellt sich allerdings schwierig heraus, in der Nebensaison sich zu entscheiden, wohin man reisen möchte, wie und für wie lange. Nur ein Bruchteil aller Schiffsverbindungen fährt und die Inseln wirken teilweise wie ausgestorben. Was mir bewusst macht, dass ich unbedingt das Berner Oberland und überhaupt die Schweizer Natur noch besser durchforsten muss.
Nun denn, machte ich mich eines kalten Sonntagmittags auf nach Vaxholm. Das Dörfchen gilt als Tor zu den Schären. Dort angekommen, schien die Sonne und paar wenige andere waghalsige Individuen durchquerten den Ort. Fast alles war geschlossen und der Wind bliess eisig. Die Burg bei Vaxholm wird erst ab 1. Mai zugänglich sein. Also sass ich auf dem Hügel des Batterie-Parks und wartete bis das Schiff zurückfuhr. Nie hätte ich einen Sonntag einfach so in einem Berner-Aglokaff verbracht und das Wetter genossen – vielleicht sollte ich.
Der nächste Inselbesuch sollte mit einer Übernachtung kombiniert werden. Doch da ja nur weniges geöffnet ist, ist das dann wiederum ausgebucht und zum zelten ist es mir doch noch zu kalt. Also machten sich ein Freund und ich auf den Weg nach Sandhamn, eine der östlichsten Inseln des Schärengartens. Schnell hatten wir die kleine Insel umrundet, da reihen sich noch unbewohnte Ferienhäuser aneinander – man stelle sich nur den Sommer vor. Das Hafenrestaurant war das einzige geöffnete Lokal, wo wir uns aufwärmen konnten, das Essen fabelhaft. Wir hatten geplant mit dem 17 Uhr-Schiff zurück nach Stockholm zu fahren und wollten im Resti für die Uni büffeln, aber das schloss um 14 Uhr. In einer Minute mussten wir uns über das weitere Vorgehen entscheiden und bestiegen das nächste Schiff. Hätten wir das nicht getan, wären wir gestrandet gewesen. Also befragten wir die Schiffs-Menschen nach Tipps wie wir unseren Ausflug bereichern könnten. Wir gingen in Långvik von Bord. Diese Insel wiederum ist gar nicht für Tourismus ausgelegt und besitzt eine kleine Einwohnergemeinde. Kinder werden hier mit Mofas, an denen vorne eine Art Sitz-Plattform angebracht ist, zur Schule gebracht. Diese befindet sich gleich neben dem Friedhof. Diese Insel-Ausflüge wirken kreativ bereichernd. Weil da nichts ist, muss man sich mit allerlei Gesprächsthemen beschäftigen: Im Delirium erfanden wir Fabelwesen und deren Geschichten.
Der letzte Ausflug zeigte schon, dass die Hauptsaison naht. Die Schiffe waren besetzter, die Menschen unterschiedlicher. Während im Winter und Früh-Frühling nur hartgesottene Wander*innen sich ins Nichts aufmachen, kriechen nun auch die Wohlfühl-Tourist*innen aus ihren Hotelbunkern. Fast planlos begaben wir uns frühmorgens zum Stockholmer Hafen Strömkajen und entschieden mehr oder weniger spontan wo die Reise hin gehen soll. Sich auf die Schiffs-Menschen wieder zu verlassen war der Plan, doch lauteten die Antworten «Böh, das bringt doch nichts, die Inseln sehen eh alle gleich aus, es ist kalt, windig und nach zwei Stunden werdet ihr genug haben.» So schnell liessen wir uns aber nicht abwimmeln. Entgegen der Annahme des Steuermanns, dass wir vom einen Hafen der Insel Svartsö, die «schwarze Insel», den 4,5 km entfernten, am anderen Ufer gegenüber liegenden Hafen nicht finden würden, durchquerten wir gemütlich die ruhige Insel und hatten dann, weil das Schiff nicht verpasst, sogar noch Zeit für den Besuch einer zweiten Insel: Grinda. Fazit: Man kann von den hiesigen Schiffs-Menschen für unerfahrene Reisende gehalten werden, während bei uns alle ein Gummiboot auslaufen lassen können und so selbst Kapitäne sind.