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Film-Review:«Gottlos Abendland»

Felix Tissi schickt in seinem Film-Essay Europa auf die Suche nach Gott. Wir wiederum werden zum Hinterfragen angeregt, von so manchen Standpunkten unseres Kontinentes, historisch wie auch politisch. Wie ihm das gelingt, jetzt hier in unserem aktuellen Filmreview. Von Lenard Baum

Europa auf der Suche nach Gott? Was zunächst vom Titel her nach einem Wahlplakat der CVP klingt, ist in Wahrheit eine künstlerische Inszenierung. Ein filmisches Essay, in welchem Europa in ihrer mythischen Gestalt als junge Frau (Natalí Gutíerrez García) sich selbst bereist und dabei auf der Suche nach dem Allmächtigen ist. Europa selbst sieht ein, dass die Zeit gekommen ist. Die Zeit, um sich von ihrer männlichen Art zu lösen und ihre weibliche Seite zu zeigen. Ihre Reise führt sie durch die Kälte der Ukraine, durch das wilde Leben in Berlin und London, mit Abstechern rein in traditionale Feste in Spanien und Italien bis sogar in die Schweiz. Doch der Allmächtige will sich trotz Europas wichtigen Fragen einfach nicht zeigen.

«Ich bin reich. So reich, dass ich mir sogar ein Gewissen leisten kann.»

In Gedanken versunken sowie auch Antworten suchend scheut sich Tissi nicht Europa aufzeigen zu lassen, wo die heutigen Probleme liegen. Abbau von Ressourcen, Zerrüttung der Ostblockstaaten, Ausbeutung des Fischfanges, die zunehmende Gefahr von Gummibooten. Filmisch setzt er vor allem auf Bildsprache, welche thematisch durch schnelle Übergänge, gepaart mit philosophischen Fragen, ein filmisches, packendes Essay erschaffen.

«Bitte, bitte, lieber Gott, sei so gut und nimm mir meine Angst vor Schlauchbooten!»

Wer beim bisherigen Lesen den Eindruck bekommen hatte, dass Tissi eher religiös sei – ist doch die Suche nach Antworten von Gott ein eher typisch christliches Motiv – muss korrigiert werden. Tissi selbst sieht Gott eher als Mittel der Moral in einen Film: «Das Wesen einer Kultur zeigt sich am deutlichsten in ihrer Gottesvorstellung. Diese Vorstellung scheint mir auch für die europäische Gesellschaft signifikant, denn durch die Trennung von Religion und Staat ist sie geprägt von steter Ambivalenz und einem moralischen Schwebezustand.»

«Nicht Kunst und Wissenschaft, Müll ist das wahre Kulturgut. Ich lebe im Zeitalter des Müllozän.»

Der vermeintliche Glaube an eine höhere Macht als künstliches Gewissen? Blasphemisch für manch einen, vielleicht. Eine recht innovative Idee auf jeden Fall für ein Essay, welches für sich ebenso ein gutes Ende findet.

Kritik

«Gottlos Abendland» ist sicherlich nicht für jeden etwas. Ein Film-Essay ist schliesslich kein normaler Spielfilm, wird doch vor allem auf Bilder unserer Gesellschaft gesetzt und Fragen wie Aussagen, die es schaffen, das Publikum über manch unangenehmes Thema nachdenken zu lassen. An sich jedoch, ein wirklich gelungenes Essay, mit einer bedeutsamen Kernaussage am Ende.

Merkt man die siebzig Minuten Laufzeit dem Film nicht allzu stark an, was auf dem Papier doch recht kurz wirkt. Dazu verliert man sich schnell in manch einen Gedanken, wenn man sich darauf einlässt.

Infos

ab sofort im Kino

Do 03.10. 2019