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Festival-Report: Openair Gampel 2015

Wir waren vier Tage lang im Wallis. Es gab Hochs und Tiefs, aber lest am besten selbst... Von Milena Losinger, Orlando Willi

Donnerstag

«Ned im Ärnscht», war unsere erste Reaktion. Und so dürften nicht wenige Besucher des Openair Gampels 2015 reagiert haben, als sie am Donnerstagnachmittag von der Absage der Toten Hosen – Sänger Campino hatte eine Stimmbandentzündung – erfuhren. Besonders schmerzhaft war es für unseren Fahrer, der extra von Schaffhausen aus einmal quer durch die Schweiz ins Wallis fuhr, um die Hosen endlich live zu sehen. Da die Passfahrt mehr Zeit schluckte als geplant, verpassten wir ausserdem den Gig von Against me!. Was für ein schlechter Festivalstart!

Den ersten Aufsteller gab es dann mit Halestorm und ihrem straighten Hardrock. Frontfrauen am Mikrofon gibt es in diesem Genre ja mittlerweile einige. Lzzy Hale spielt aber auch noch virtuos Gitarre. Dank ihr und ihrer Truppe wurde unsere Stimmung schon mal etwas besser. Der Post-Hardcore von Touché Amoré aus L.A. war anschliessend genau das Richtige um den Frust über die Absage der Hosen zu vergessen. Die Bühne in rotes Licht getaucht sorgten später Coheed and Cambria für Gänsehautfeeling.

Gampel_2015_1Nach dem Jubiläumsfeuerwerk in den Walliser Kantonsfarben rot und weiss traten Kraftklub als Headliner-Ersatz den schweren Gang auf die Bühne an. Gampel befand sich an diesem Wochenende ganz klar in den Händen der Hosen-Fans. T-Shirts und Fahnen mit Adlerskelett oder Totenkopf waren überall auf dem Festivalgelände anzutreffen. Viele der Besucher, für welche das Openair Gampel nicht ohnehin Fixtermin in der Agenda ist, dürften dieses Jahr hauptsächlich wegen der Düsseldorfer Alt-Punks ins Wallis gekommen sein. Deswegen waren wir ein wenig überrascht, wie gelassen und friedlich die Stimmung auf dem Gelände den ganzen Abend über geblieben war. Kraftklub, welche per Privatjet kurzfristig aus Chemnitz einflogen, wurden vom Publikum wohlwollend empfangen und lieferten eine gute Show ab. Zum Ende des Gigs bekam das Publikum vier Fünftel der Toten Hosen dann doch noch kurz zu sehen. Ohne Sänger Campino spielte der Rest der Band zusammen mit Kraftklub zwei Songs. Beim Ramones-Cover Blitzkrieg Bop zeigte Kraftklub Sänger Felix Brummer einige Textschwächen und bei Eisgekühlter Bommerlunder sah ich den Hosen-Drummer Vom Ritchie zum allerersten Mal überhaupt bei einem Konzert aus dem Takt fallen. Nichtsdestotrotz eine nette Geste der Toten Hosen. Bleibt nur die Frage, warum die Band, wenn sie ja ohnehin anwesend war, nicht einige Songs mit Gitarrist Kuddel am Mik spielen wollte.

Freitag

Das erste Konzert sollte eigentlich das Rock’n’Roll-Duo Dolomite Minor spielen. Die Briten gelten als neue Rock-Hoffnung, konnten diese Erwartung aber zumindest am Gampel nicht erfüllen. Das klassische Dilemma: Falsche Zeit, falsche Location. Ein Uhr morgens in einer verrauchten Kellerbar in London? Ja. Nachmittags um halb Drei auf der Hauptbühne in Gampel? Nein. Der melancholische Gitarrensound wirkte leider vor allem einschläfernd, auch wenn das Potential der Newcomer durchaus erkennbar war.

Dafür rockten die Berner Kummerbuben den Laden. Wenn dir zwei Mal in einem Gig der komplette Ton nach vorne ausfällt und die Musiker das selber nicht merken, weil das Publikum einfach weitertanzt und -klatscht, hast du als Band wohl einiges richtig gemacht.

Kitty_Daisy_&_LewisEin weiteres Highlight waren Kitty, Daisy & Lewis, bestehend aus den drei gleichnamigen britischen Geschwistern Durham. Die Multiinstrumentalisten wechselten munter zwischen Gitarre, Klavier und Schlagzeug hin und her und übernahmen abwechselnd die Lead-Stimme. Ihr erfrischender, von Swing, Blues und Rock’n’Roll der 40er und 50er Jahre beeinflusster Sound sorgte für fröhliche Stimmung. Mit der Fröhlichkeit vorbei war es, als Enter Shikari die Bühne enterten (billiges Wortspiel, ich weiss, aber die Band ist in der Tat nach einem Boot namens «Shikari» benannt). Die Trancecore-Truppe um Lead-Sänger Roughton «Rou» Reynolds fackelte ein Hardcore Feuerwerk ab, das für einige aufgeschürfte Knie sorgte. Das überwiegend sehr junge und tanzwütige Publikum moshte solange der Atem reichte.

Awolnation zogen anschliessend auf der dieses Jahr «Red Stage» genannten Hauptbühne reichlich Publikum an, weshalb wir den Gig nur zur Hälfte und aus einiger Entfernung verfolgten. Dafür wollten wir Gogol Bordello auf der kleineren «White Stage» einen intensiveren Besuch abstatten. Intensiv könnte man, nett umschrieben, auch das an Blendgranaten erinnernde Wirken des Lichttechnikers nennen, der in seinem Übereifer eine gute Sicht auf die Bühne fast unmöglich machte. Die Lichteffekte aus der Bühnenrückwand, welche zuvor bei Enter Shikari passend zu den vielen Breaks in den Songs top eingesetzt wurden, waren bei den Latin-Punkern von Gogol Bordello komplett fehl am Platz. Das Publikum liess sich trotzdem von der emotionalen Performance der Band mitreissen.

Und dann war es Zeit für den zweiten Headliner des Festivals, Deichkind. Die neue Bühnenshow der Electropunk-Hip-Hop-Combo ist im Gegensatz zu früheren Shows ganz in schwarz und weiss gehalten. Als die Band auf einem übergrossen Holzfass durch die Menge kurvte erreichte die Stimmung ihren Höhepunkt. «Yippy yippy yeah, yippy yeah…»

Samstag

Als wir am Samstag nach einer viel zu kurzen Nacht endlich wieder das Gelände betraten, war es gerade Zeit für die Beatsteaks. Wir rannten zur Bühne. Es hatte sich bereits eine riesige Menschenmenge angesammelt, die hüpfte, Dinge herumwarf und aus voller Kehle mitschrie. Wir stürzten uns mitten hinein. Das Konzert war schnell, dreckig und ausdrucksstark, so wie man es sich von den Beatsteaks gewohnt ist. Auch die ruhigeren Töne fehlten nicht. Doch in einer Hinsicht lag wohl irgendwie ein Fluch über dem diesjährigen Openair Gampel: Nachdem Campinos Stimme schon vor dem Konzert versagt hatte, trat bei Beatsteaks-Frontsänger Arnim in der Hälfte des musikalischen Freudenfestes plötzlich das gleiche Problem zu Tage. Die anderen Bandmitglieder liessen sich erst nicht beirren und rissen den Sänger noch ein paar Songs mit, bis seine Stimme komplett den Dienst verweigerte. So musste die Band nach 40 Minuten frustriert die Bühne verlassen.

Nachdem die Toten Hosen ihre Show abgesagt hatten, freuten wir uns riesig auf The Prodigy. Schon früh versammelte sich gefühlt die halbe Welt auf dem Platz vor der «Red Stage», wir mittendrin. Jeder Zuschauer hatte mindestens einen der LED-Stäbe in der Hand, die vor dem Konzert verteilt worden waren. So entstand ein rot-blaues Lichtermeer. Als es dann endlich losging war niemand mehr zu halten, weder die Künstler auf der Bühne noch die Zuschauer. Innerhalb von Sekunden tanzten alle wild durcheinander und die Musiker gaben einen energiegeladenen Hit nach dem anderen zum Besten. Die Lichtshow, die früher aus Leuchtstoffröhren bestanden hatte, wurde von Lasern und Scheinwerfern abgelöst und wir sind uns ziemlich sicher, dass kein Gampel-Besucher darum herum kam, mindestens ein Mal hinzusehen. The Prodigy waren so eine Wucht, dass das Trommelfell auch Tage später noch wummerte.

Gampel_nach_Deichkind

Sonntag

Am Sonntag war nebst den Besuchern wohl auch die Sonne etwas müde. Und als die ersten Tropfen fielen, hatten die meisten schon ihre Sachen gepackt und waren auf dem Weg dorthin, wo wohl ihr warmes Bett steht. Doch Einige, darunter auch wir, hatten noch nicht genug vom Festivalleben und so standen wir zusammen vor der «White Stage» und liessen uns von Sinas blumigen Songs mitreissen. Bei den Melodien von Adel Tawil schaute sogar die Sonne wieder hinter den Wolken hervor. Nach einem letzten Imbiss verliessen wir etwas wehmütig das Gelände. Vier Tage voller Sonne und jeder Menge guter Musik. Danke Gampel.

Mi 09.09. 2015