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Festival-Review: Die 55. Solothurner Filmtage

Schön, war das! Also das Wetter nicht so, doch wunderbarerweise spielt Frau Holle an einem Filmfestival meist eher eine Nebenrolle. Denn worum es eigentlich geht, findet in schönen, dunklen, wohl klimatisierten Räumen statt. Aber kommen wir zum Kern der Sache: zu den diesjährigen Filmen. Von Steve Nyffenegger

Die Auswahl war gross: Ein brandneuer Godard, fabelhafte bildgewaltige Dokus – da sind wir ja Schweizer besonders gut darin – ein überaus abwechslungsreiches, interaktives Rahmenprogramm, das sich auch vor schwierigen Themen nicht scheute (z.B. Post-Kolonialisierung im Film), Serien und, ja, genau, Spielfilme. Der BM hat so einiges gesehen an diesem Filmfest. Wir haben uns zwei Filmchen rausgepickt und möchten euch etwas über diese brandneuen CH-Produktionen erzählen.

Highlight #1: Bruno Manser – Die Stimme des Regenwalds

Dies sei schon mal gesagt: Der Streifen ist eine Wucht. Obwohl das bis heute ungeklärte verschwinden Bruno Mansers schon ein paar Jahre her ist, trifft der Film absolut den Zeitgeist und ist an Aktualität kaum zu überbieten. Ein junger Schweizer kämpft allein gegen die Abholzung des malaysischen-indonesischen Regenwalds auf Borneo und für den Schutz der indigenen Stämme und Tiere – bis zuletzt. Doch bevor alles mit schwerem Gerät niedergemacht und zerstört wird, sehen wir atemberaubende Landschaftsaufnahmen, den ältesten Regenwald der Erde, zehntausende Grüntöne, Dschungel-Idylle – dann der harte Schnitt nach Basel: rauchende Industrie-Schornsteine, alles flach, der Himmel so grau wie der stachelige Teppich von Myriaden winziger, rechteckiger Häuser. Und soweit das Auge reicht: kein einziger Flecken Grün. Einem drängt sich rasch die Frage auf, was wir den getan haben: Ist das der Preis für den sogenannten Fortschritt, wohin schreiten wir den eigentlich und was haben wir mit unserem Land, also dem Boden unserer Vorfahren gemacht?

Regenwald-Drama: Manser gegen Industrie

Der dampfende Chemie-Moloch ist Mansers erste Heimat, der Dschungel seine zweite. Die Pharma-Stadt, die mit gestohlenem Wissen aus dem Regenwald, jährlich hunderte Millionen von Franken an Gewinnen generiert. Wir, Europäer, stehlen ihnen auch das Holz, wir brauchen kein Tropenholz, wir hätten sehr gutes Holz hier und schon gar nicht brauchen wir Palmöl – doch die Realität sieht anders aus. Es wird ein hohes Kopfgeld auf Manser (hervorragend gespielt von Sven Schelker) ausgesetzt, Holzfäller bedrohen ihn, er verschwindet und wird nie wieder aufgefunden.

Etwa corny, doch mit dem thematischen Fokus am rechten Fleck

Alles in allem: Ein absolut toller, eindrücklicher Film und ein Regie technisches Meisterwerk des Friburgers Niklaus Hilber. Gedreht wurde vor Ort mit gecasteten Penan-Indios-Laienschauspielern. Schelker musste deren Sprache und die dazu gehörige Emotion lernen – da ist nichts mit vor Drehbeginn kurz die «Lines» checken. Da verzeiht man der Produktion auch die ziemlich drapiert wirkende Schlange (Hilfe eine Schlange!!) gleich zu Beginn des Films, und das nicht so gut animierte Wildschwein. Aber hey, wer mag schon mit einem richtigen, wild gewordenen Wildschwein eine Fight-Szene drehen. Oder die etwas «corny» daher kommende Vater-Sohn-Szene, die wohl im Film noch Platz haben musste, um auch den Allerletzten die Brisanz dieser grossen, wenn nicht grössten Thematik des 21. Jahrhunderts, nämlich der Wichtigkeit des Naturschutzes, klar machen soll: Wir müssen JETZT handeln.

Highlight #2: Platzspitz Baby

Pierre Monnard, der Regisseur, und der Drehbuchautor André Küttel nehmen sich mutig und behutsam diesem doch sehr schwierigen und komplexen Thema an. Dieses Werk kippt nie ins kitschige oder wird belehrend, die Macher meistern dies verblüffend leichtfüssig und erzählen die Geschichte aus der Sicht der kleinen Mia (Grandios in der Rolle: Luna Mwezi) und deren Mami Sandrin (sooooo guet: Sarah Spale), die eine heroinabhängige Platzspitz-«Drögelere» ist – bis heute.

Eingespieltes Regie- und Drehbuchautor-Tandem

Monnard & Spale, welche schon für «Wilder» zusammen arbeiten, sind mittlerweile ein eingespieltes Team und vertrauen sich. Monnard bezeichnet Spale bei seiner Rede scherzhaft als seine Muse – und das merkt man dem Film an. Er ist dreidimensional, frisch, alles andere als flach oder vorausschaubar. Ernst und locker, schön und hässlich, trotz oder grad wegen der düsteren Story, ist dieses Stück Schweizer Kulturgeschichte, filmisch sehr gut umgesetzt, wunderbar feinfühlig und sorgfältig gemacht.

Nichts auszusetzen, eher: Bitte mehr davon

PLATZSPITZ BABY schafft bravourös den Spagat zwischen unterhaltsamen Kinofilm und realem Drama. Denn nur so liess sich dieser schwere, harte Stoff für den Regisseur bewältigen, der sonst eher unverfängliche Komödien oder eben Berner Mystery-Serien, dreht. Also gleich noch ein Film mit einer Hauptrolle, die in lustigem Baseldeutsch herumflucht, nicht zuletzt wegen der grossartigen Leistung der kleinen Luna Mwezi, der bravourösen Darstellung einer Junkie-Mutter von Sarah Spale und auch dem Berner Punk-Original em Hoschi absolut überzeugt. Es gibt an diesem furchtlosen, vielschichtigen Werk nichts auszusetzen, was fast schon beängstigend ist. Eigentlich gibt es gar nicht viel mehr zu sagen als: Geiler Film – WIR WOLLEN MEHR DAVON!!

Infos

Und gewiss hat der BM auch der "Grünen Fee" einen Besuch abgestattet;-)

Mo 02.03. 2020