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Festival-Report: Die Insel der Freiheit

25 Jahre Sziget Festival

Zum 25. Mal schritten die Sziticens dieses Jahr über die berühmte Szigetbrücke, um sich für mehrere Tage der Liebe, der Musik und der Kunst zu widmen. Der Bewegungsmelder war während vier Tagen vor Ort und hat sich von den vielen Eindrücken berieseln lassen. Von Marc Tschirren

1993 beschliesst eine Gruppe junger Musikliebhaber, ein Festival auf der Insel Óbudai-sziget nahe Budapest zu veranstalten. Über die Jahre verwandelt sich diese jugendliche Idee (der Mitbegründer und heutige Vorsitzende des Festivals war damals 22 Jahre alt) in eines der grössten und eindrücklichsten Festivals des Planeten, das Sziget Festival. An die 500’000 Gäste in über 10 Festivaltagen, 40 Stages und über 200 Performances verteilt auf rund 108 Hektaren Land versprechen dem Besucher ein einzigartiges Erlebnis. Unter Tausenden von Szitizens war auch der Bewegungsmelder vor Ort und blickt nun, nachdem die Wirkung von Palinka und Fröccs nachgelassen hat, zurück auf vier intensive und eindrückliche Festivaltage.

Tag- & Nachtträumer

Auf dem weitläufigen Gelände der Óbudai-sziget könnte man wohl auch die OL-Weltmeisterschaft veranstalten.Selbst am vierten Tag finden sich immer wieder neue Gassen, neue Lauscheplätzchen und unzählige, dekorative Installationen. Das Sziget Festival ist neben seinem musikalischen Programm berühmt für seinen kunterbunten Auftritt. So fliessen allein in die Dekoration des Festivals jährlich 1.5 Millionen Euro. Ruhe findet der Ganztages-Raver und das Pop-Einhorn beispielsweise in der Art-Zone, wo sich unzählige Skulpturen, Modeshows oder auch interaktive Kunst-Tätigkeiten als Entspannungsprogramm anbieten. Wer’s dann schon tagdurchs in den Füssen juckt, der kann sich ab 10 Uhr bis am Folgetag um 06 Uhr in der Früh in der aus Paletten gebauten Colloseumstage abstampfen. Wer schwimmen gehen möchte, macht dies besser ausserhalb der Festivalgeländes. Der vermeidliche Beach gewährt nur wenige Quadratmeter Wasser, in welchem man sich maxmial einmal drehen kann. Aus Sicherheitsgründen versteht sich. Ansonsten ist der trockene Teil des Beach eine wahre Idylle die vor Farbe und guter Musik nur so strotzt. Ein Geheimtipp für all jene Sziticens, die sich entspannt auskatern wollen (und nein, ein Konter-Palinka hilft wirklich nicht).

 

Nemo setzt die Europe Stage in Brand

Auf der Europe Stage werden jedes Jahr junge und aufsteigende Künstler des ganzen Kontinents präsentiert, letztes Jahr beispielsweise ABU oder Serafyn. Dieses Jahr waren dann Odd Beholder und Jung-Rapper Nemo auf eben dieser Bühne anzutreffen. Und eben dieser Nemo versetzte uns in Staunen. Noch einige Stunden vor ihm spielten Klangstof in der brennenden Hitze vor einem für ihre Verhältnisse kleinen Publikum. Unter den Schweizer Journalisten breitet sich ein bisschen Unbehagen aus, man erhofft sich doch für den Auftritt im Ausland für den jungen Bieler eine tolle Stimmung. Im Moment sah’s eher nach Privatkonzert aus. Doch rund zehn Minuten vor dem Konzert strömen immer mehr Menschen, bepackt mit Schweizer Fahnen und aufblasbaren Nemo’s (die Fische, nicht den Rapper… wär aber auch lustig) vor die Europe Stage. Zu Beginn des Konzerts finden wir Journalisten uns in einem Meer aus Schweizerfahnen – wenn jemand angerempelt wird entschuldigt man sich mit „Sorry gäu“ oder „Tschudigung“. Auch Nemo wechselt nach der englischen Begrüssung schnell insSchweizerdeutsche, denn das Publikum singt die Texte astrein mit. Eine Stunde pumpen Dr. Mo’s Beats zusammen mit Nemo’s Lyrics aus den Boxen hin zum Publikum, welches am Ende „Ke Bock“ mit einem Circle of Death würdigt. Chapeau Nemo, auch im Ausland brennst du die Bühnen dank einem tollen Publikum ab!

Videocredits: Marc Tschirren

I can’t change

Neben der Circus Stage, deren Sitzplätze aufgrund der enormen Anfrage verdoppelt wurde, können sich Jung und Alt über Kunststücke freuen, während sich andere zum Klang von Symphonie- und Chorprogramm noch einmal überlegen, wo sie gestern überhaupt waren. Noch kilometerlang könnte man an dieser Stelle über die tollen Stages, Performances und Installationen schreiben – bis des Schreibers Hände die Hornhaut eines Vollblutgitarristen bilden. Ohne Gitarre aber dafür mit aufblasbarer Sexdoll Larry (aus dem Publikum) überzeugte beispielsweise Macklemore in Kombo mit Ryan Lewis vor mehreren 10’000 Zuschauern. An einem Festival, dessen Werte u.a. die Gleichheit aller Menschen, die gegenseitige Liebe und die zur Musik lauten sollen, ist es nicht verwunderlich und umso eindrücklicher, wenn tausende Menschen „I can’t change“ mitsingen oder sich gegen das Tun des aktuellen amerikanischen Präsidenten mit einem, in seiner Art sehr plumpen „F*ck Donald Trump“ aussprechen. Offene Menschen, keine Schlägereien, eine lachende Begrüssung oder ein zwinkerndes Lächeln: Das sind die Sziticens.

 

Geld regiert die Welt – oder doch nicht?

Im Vorfeld des Festivals gab es neben dem Programm zwei Themen, die in vielen, vor allem ungarischen Medien dominierten. Zum Einen tritt Gründer Karoly Gerendai mit dem 25. Jubliäum des Sziget Festivals von seiner leitenden Funktion zurück. Dies wurde gemäss den Veranstaltern an der Pressekonferenz am Sziget Festival fälschlicherweise mit dem zweiten grossen Thema im Vorfeld in Zusammenhang gesetzt: 70% der Anteile am Festival wurden an ein amerikanisches Unternehmen verkauft. Man befürchtet nun, so auch Stimmen der Journalisten an der Pressekonferenz, dass mit dieser neuen Beteiligung das Programm sowie die Aufmachung des Festivals beeinflusst wird. Dies dementieren die Sziget-Verantwortlichen, verweisen dabei aber auch auf neue Chancen, die sich mit den zusätzlichen finanziellen Mitteln ergeben sollen. Einerseits wollen die Organisatoren so weiterhin ein solch grosses Line-Up ermöglichen trotz steigender Headlinerpreise (Anstieg von 60% der verlangten Gagen der Künstler auf der Mainstage im Vergleich zum Vorjahr). Andereseits sollen mit diesen neuen Mitteln erstmals auch Kollaborationen mit ausgewählten, anderen Festivals ermöglicht werden. Es ist also durchaus möglich, dass wir schon bald in weiteren europäischen Städten den Geist der Insel der Freiheit spüren werden. Klingt gut, nicht?

Welche Änderungen auch immer auf das Sziget zukommen werden, eines ist klar: Es wird ein Festival der Gefühle bleiben, ein Festival, das eben mehr als nur ein simples Line-Up Festival ist, ein Festival, dass wo immer möglich aus Rastern ausbricht.

Oder in den Worten, welche auf jedem Bracelet prangern: Be Free. Stay Amazing.

Credits für alle Bilder: Rockstar Photographers

Infos

Sziget Festival:
Austragung 2018: Daten noch nicht bekannt gegeben
Kosten: Tagesticket 75 Euro / 7-Tageticket 407 Euro
Übernachtung: Camping, Airbnb, Hotel - je nach Budget
Besonders: Grosse Kunstausstellung, rund 40 Stages, bis zu 400'000 Besucher/innen
Alle weiteren Informationen findest du hier: de.szigetfestival.com

Di 15.08. 2017