Zurück

Im Gespräch mit Ezra Furman

"Ich bin der Hund, der weggekickt wurde."

Der vielseitige Musiker Ezra Furman über sein Dasein als Solokünstler. Am 8. November kommt er für ein Konzert ins Zürcher Exil. Von Sara Steffen

Bereits am Bühnenoutfit von Ezra Furman – pinke Haare, Lippenstift und kurze Röcke – erkennt man, dass der junge Musiker mit Mainstream nichts anfangen kann. Seine Lieder, die musikalisch von Rock’n’Roll-, Soul- und Folk-Traditionen geprägt sind, handeln deshalb nicht selten von persönlicher Identitätsfindung, von Ärger über soziale Misstände und von Problemen unserer Gesellschaft. Nach der Veröffentlichung seines mittlerweile dritten Albums macht der Amerikaner auf seiner Europatour am 8. November auch in Zürich Halt. Der Bewegungsmelder hat ihn bei seinem letzten Besuch in der Schweiz zum Gespräch getroffen.

 

Du bist ja jetzt schon eine Weile als Solokünstler unterwegs, seit der Veröffentlichung deines zweiten Albums wirst du auch live begleitet von einer Gruppe von Musikern namens „The Boyfriends“… Hat sich dein Songwriting mit all diesen Wechseln seit der Trennung von deiner früheren Band „The Harpoons“ verändert?

Der Prozess des Songwritings an sich hat sich nicht gross verändert, aber sicher die Art, wie ich meine Alben mache. Als mir klar wurde, dass ich für mein zweites Album „Day of the Dog“ diese grossartigen Musiker von „The Boyfriends“ mit ihren besonderen Stärken zur Verfügung habe, begann ich (wohl zu einem grossen Teil unbewusst), Lieder zu schreiben, die wir alle zusammen spielen können. Die Auswahl der Musiker wurde wiederum stark von meinen musikalischen Präferenzen beeinflusst. Das Ganze bildet also irgendwie eine Einheit: Ich habe etwa gleichzeitig begonnen, Lieder zu schreiben, die nach frühem Rock’n’Roll klingen sollen, wie ich zum ersten Mal mit „The Boyfriends“ unterwegs war.

Das Album davor, „The Year of No Returning“, habe ich hingegen wirklich alleine gemacht. Ich denke, das hört man auch. Es sind viel mehr langsame Lieder dabei, weil ich die Freiheit hatte, das auszuprobieren. Mit einer Band ist man immer versucht, Songs zu machen, die allen Musikern auch Live Spass machen. Es war von daher schön, einmal die vollkommene Freiheit zu haben und zu machen was auch immer ich wollte.

 

Hast du denn das Gefühl, dass du mit „The Boyfriends“ mal zu einer einzigen Band zusammenwachsen wirst, also nicht mehr als „Solokünstler mit Begleitung“ unterwegs sein wirst?

Nein. Mir ist es sehr wichtig, immer im Kopf zu behalten, dass es keine Regeln gibt. Ich bestehe auf meiner Freiheit. Deshalb wurde auch mein zweites Album noch unter dem Namen „Ezra Furman“ veröffentlicht, auch wenn „The Boyfriends“ da eigentlich schon dabei waren. Bands trennen oder verändern sich, und ich möchte nicht, dass jemand dadurch die Musik aus den Augen verliert. Schon gar nicht ich selbst.

Mit den „Harpoons“ gab es viele Bereiche, von denen ich dachte, dass ich keine Kontrolle darüber hätte. Ich wollte damals nicht die dominante Person spielen, weil wir alle gute Freunde waren und ich den anderen nicht sagen wollte, was sie tun sollen. Sie hätten mir das aber wahrscheinlich gar nicht übel genommen. Wahrscheinlich wäre es sogar nötig gewesen, um uns allen eine bestimmte Richtung zu geben. Mir ist erst später klar geworden, dass ich, wenn ich ein guter Künstler sein und mich weiterentwickeln will, nicht darum herum komme, wichtige Entscheidungen zu treffen. Wenn ich das nicht mache, werde ich wohl immer wieder gleich klingende Alben produzieren. Manche Leute machen das ja scheinbar so. (lacht)

 

„Day of the Dog“ war sehr erfolgreich in Grossbritannien, vielleicht sogar noch erfolgreicher als in den USA. Hat dich das überrascht? Hast du eine Ahnung, weshalb das so sein könnte?

Ich habe absolut keine Ahnung, weshalb das so ist. Vielleicht ist es auch nicht meine Aufgabe, darüber nachzudenken. Was gerade populär und cool ist, scheint mir ein riesiges Durcheinander zu sein. Da gibt es keine Logik dahinter. Ich habe mich fast mein ganzes Leben lang mit „popular culture“ befasst, aber nichts davon scheint irgendwie Sinn zu machen oder irgendwelchen Regeln zu folgen.

Ich hoffe natürlich, dass „Day of The Dog“ so erfolgreich war, weil es mein bisher bestes Album ist. Aber das habe ich eigentlich immer das Gefühl von meinem jeweils letzten Album, darum weiss ich es wirklich nicht…

 

…also kam der Erfolg unerwartet für dich?

Auf eine Art schon. Aber, weißt du, den Titel „Day of the Dog“ habe ich unter anderem wegen dem Sprichwort „Every dog has it’s day“ so gewählt. Klar geht es im Titel um verschiedenste Dinge, aber was sicher mitschwingt, ist die Idee, dass dies jetzt mein glorreicher Moment sein könnte. Ich bin sozusagen der Hund, der weggekickt wurde.

 

Die Medien haben seit der Veröffentlichung deines zweiten Albums sehr häufig diese Idee von dir als „Underdog“ aufgegriffen. Du wurdest etwa auch häufig mit „Anführer der Underdogs“ oder ähnlichen Bezeichnungen betitelt. Gefällt dir diese Rolle? Siehst du dich selbst auch als „Underdog“?

Ich weiss nicht, ob ich wirklich als „Underdog“ bezeichnet werden kann, weil ich das in vielen Bereichen überhaupt nicht bin: Ich bin männlich, weiss, gehe in der Regel als heterosexuell durch und komme aus einer Familie mit einem anständigen Vermögen. Aber ich denke, auf eine Art sieht sich jeder in gewissen Situationen als „Underdog“, gerade wenn man anstrebt, erfolgreich zu sein und es dann nicht so klappt wie man will. Aber ich glaube, vielmehr wollte ich Lieder schreiben, die mit denjenigen Leuten mitfühlen, welche wirklich unten durch müssen oder in Schwierigkeiten stecken. Das waren nämlich jeweils die Momente in meinem Leben – und es gab doch einige von denen – in welchen mir Musik helfen konnte. Ich glaube, das ist meine hehrste Hoffnung für meine Musik: dass sie jemandem durch eine schwierige Zeit helfen kann… und so etwas wie ein Freund für ihn oder sie sein kann.

 

Hat denn der Protestsong über die Geschehnisse in Ferguson, den du letztes Jahr auf deinen Internet-Kanälen veröffentlicht hast, auch mit diesem Wunsch zu tun? Oder was hat dich genau bewegt, dich in dieser Angelegenheit zu äussern?

Nun, Rassismus ist ja etwas, was ständig und in der ganzen (weissen) Welt präsent ist, und gerade in Amerika ist Polizeigewalt gegen Nicht-Weisse ein wiederkehrendes Problem. Die Situation in Ferguson war also kein einzigartiges Ereignis. Aber es hat mich tief berührt. Genau so wie es mich damals berührt hat, als die „Occupy Wallstreet“-Bewegung von Polizeigewalt überschattet wurde. Ich war damals gerade frisch nach Oakland, Kalifornien gezogen und nahm an „Occupy Oakland“ teil und war schockiert, wie die Polizei überreagiert, willkürlich Leute attackiert und sogar jemanden umgebracht hat. Die Eindrücke all dieser Ereignisse und Zwischenfälle stauen sich halt über die Jahre auf, und man weiss eigentlich schon genau, was man dazu sagen möchte. Als dann der Zwischenfall in Ferguson passierte, hatte ich die entsprechenden Gefühle eigentlich schon parat, weil ich das so oft zuvor in ähnlicher Weise erlebt habe.

 

Wie haben deine Fans auf den Song reagiert? Hat es Feedback gegeben?

Die meisten Leute waren wirklich berührt von dem Lied. Aber ich habe herausfinden müssen, dass ich anscheinend auch einige sehr rassistische Fans habe. Das war mir vorher nie so klar. Aber ich habe da eigentlich keine Illusionen. Verschiedenste Menschen mögen halt gute Musik. Ich bin sicher, es gibt ganz viele schlimme Menschen, die gerade in diesem Augenblick einen Beatles-Song singen. (lacht)

Ich möchte in erster Linie grossartige Alben produzieren, welche über diese Differenzen zwischen Menschen hinausgehen können. Natürlich gibt’s einen Teil in mir, der sagt: „Fuck off, ich will euch nicht an meinen Konzerten dabeihaben.“ Aber dann wiederum mache ich meine Musik ja eigentlich für alle.

Was mir aber ehrlich gesagt eher ein bisschen Sorgen macht, ist dass ich wegen der Europa-Tour nicht weiter auf die Anliegen rund um die Ferguson-Ereignisse eingehen konnte. Ich habe den Protestsong bisher nur einmal live gespielt. Ich denke, ich sollte die Sache nach der Tour noch einmal betonen.

 

Fünf (+1) Album-Empfehlungen von Ezra Furman:

Tristen – Charlatans At The Garden Gate

Krill – Lucky Leaves

Paul Baribeau – Paul Baribeau

Against Me! – Transgender Dysphoria Blues

The Magnetic Fields – 69 Love Songs

Neutral Milk Hotel – In An Aeroplane Over The Sea

Infos

Tickets für das Konzert in Zürich sind hier erhältlich.

"Day of the Dog" ist hier erhältlich.

So 01.11. 2015