Drei Herren an drei Drums: Wir sind am bee-flat in der Turnhalle und es ist Mario Hännis dritte und letzte Carte-Blanche. Von Alek Paunovic
Um die 80 Personen fühlen sich an diesem kaltnassen Sonntagabend allen Ausreden zu trotzen gerufen. Vielleicht lässt sich dabei das Interesse erahnen, welches heuer die Carte Blanche-Reihe weckt. Oder ist es nur dieses Schlagzeug-Spektakel mit progressivem Drang zum Klang?

Gefühlt die Hälfte der Besucher wirken wie schlagende Burschen und fünf von ihnen tragen lange Haare. Allesamt mit Kappe und einige davon mit überdimensionaler Lesebrille, dem augenscheinlich auffälligsten Merkmal des heutigen Gastgebers Mario Hänni. Eigentlich einfach nur ein Schlagzeug-Wunderkind, Multi-Instrumentalist und sympathisch-scheuer Querkopf mit ganz viel Talent.
Licht stimmt, Raum stimmt, Publikum definitiv auch. Es fehlen nur die Aschenbecher und es wäre glatt ein Pariser Jazz-Club. Kritische Blicke, check. Hecktisches Warten, check. Gespanntes Starren auf die Mandoline, den Bass-Synth und Effektgeräte, check. Es hat noch viel Perkussion, verschiedenartige Stöcke und reichlich Spielzeug für das Kind im Mann.

Mario Hänni, Komponist, Sänger und Gitarrist in Form eines Schlagzeugers nimmt zusammen mit seinen beiden Gästen Platz. Zur Linken einerseits Emmanuel Künzi, zur Rechten seinerseits Vincent Glanzmann. Sie kennen sich unter anderem noch aus ihre wilden Zeiten bzw. durchaus gelungenen Konzerten mit der grossartigen Beastie Boys-Coverband. Andere Projekte von Mario bewegen sich von Kraut-Rock bis hin zu alternativem Indie-Sound und darin schwimmt er ziemlich elegant. Doch konzentrieren wir uns auf den heutigen Sound: Angekündigt von synthetischem Bass, durchdringen Klopfgeräusche unweigerlich ins dichte Lichtermeer hinein.

Alles scheint gedämpft und jeder Schlag weiter entfernt. Eine Astronautenstimme dringt aus dem Raum. Zink, Kupfer, Stein und Holz sorgfältig im Rhythmus platziert. Elemente unserer Erde? Man nimmt halt das Nötigste mit auf einen kurzen Trip ins All. Und ein sorgfältig platziertes Tuch, kariert, doch eigentlich fürs Trocknen von Tellern gedacht. Wohl deshalb wirkt der Klang immer so gedämpft, nur sporadische Hi-Hat-Eskapaden funkeln hell im Raum. Zu sehen, wie wenig Schlagzeug und dennoch viel Klang zu hören ist und dann, 32-tel erfrischend knackig eingesetzt, fein getaktet das Ganze. Glanzmann übernimmt offensichtlich den Part des elektronisch anmutenden Spiels, während Hänni der Taktgeber ist – artig und zuweilen brachial.

Wie es sich angebahnt hat, ist Künzi das verbindende Element. Aber sein Zuspiel zu Hänni und Glanzmann treibt diese wiederum zu Höchstleistungen, Triolen und Kapriolen. Und immer wieder dieser Glanzmann, als hochfrequentiger Treiber der Rhythmusstruktur. Der Mann ist schlichtweg in glänzender Form. Ein wilder Ritt von Mario versetzt die Anwesenden in Trance, unmittelbar rasant. Das Tempo hetzt von gefühlten 33 Schlägen pro Minute zu 133 bpm hinauf. Dies alles erst nach 30 Minuten des aufbauenden Teils dieser Performance.

Atonale Glocken variieren mit Cymbals in kombinierter Off-Beat-Struktur. Die Tücher fliegen vom Fell während der Rhythmus in absurde Welten entführt. Es scheint sich hier mehr um eine Geisteraustreibung zu handeln, als nur um ein Zusammenspiel. So abgehackt entsteht in der Gesamtheit dennoch ein grossartiger Groove. Was auch nur ansatzweise an Materie erinnert, wird zermalmt. Man sieht Stammesvölker vor seinem geistigen Auge tanzen. Broken-Beats kommen mit knisternd zarten Fill-Ins daher, man füllt sich gehüllt in ein Kleid, das eine Nähmaschine geführt von einem Drum-Computer näht.

Und was geschieht, wenn man einem Schlagzeuger ein Mikrofon in die Hand gibt? Genau, er rappt. Jetzt wird’s lustig, in technoidem Takt, doch der Spass endet abrupt. Absolute Stille. Das Licht kündigt es an, wir heben ab. Der Nebel lässt uns zurück, mit feinen Mandolinen im Raum. Die Anwesenden im Raum sind allesamt baff.
Kein Wunder hat niemand getanzt, zu unvorhersehbar war das Ganze, und ganz viel aufs Mal. Niemand wusste wohin schauen: Ob auf die nackten Hände links, zum bis auf jede Kante verwertete Schlagwerk rechts, zu den sanft auf dem Fell platzierten Effektgeräten, diesen perkussiven Wundertüten, oder zu den gescratchten Puppen, fröhlich quietschend im Rhythmus dieser Nacht.

Frenetischer Applaus und alles ist aus. Zugabe-Rufe werden laut, die Band kommt nochmal und hievt uns mit einem brasilianischen Hüftschwung zurück ins All. Händeschütteln, viel Gelächter, fröhliche Gesichter. Danke, Sonntag. Danke, kaltes Nass.
Nach seinem ersten Auftritt mit dem Projekt Rio und den zweiten Abend mit dem Elektronik-Tüftler Thomas Baumgartner, zeigte sich heute Mario Hänni an seinem Stamm-Instrument, dem auch Pablo Nouvelle vertraut. Geschmeidiger Spiellaune zeichnet ihn aus im Publikum sass ein gewisser Julian, mit einem breiten Smile. Norbert Pfamatter wäre Stolz auf seinen Schüler gewesen, und auf seine beiden Gäste übrigens auch.