Drehbücher werden für viele Hände geschrieben. Gestikulierende, technisch versierte, nähende oder Klappen schlagende... Oft werden sie auch von mehr als zwei Händen verfasst. Drehbuch mehrhändig, wie geht das eigentlich? Von Seelenreiter // Stephan Schoenholtz
Ein Schreibtisch aus massivem Holz, breit genug, damit zwei Autoren daran nebeneinander Platz nehmen können. Die Tastatur erstreckt sich von einem Ende der Tischplatte bis zum anderen, sie schimmert schwach im Licht der weissen Bildschirmoberfläche. Die Autoren betreten den Raum, gehen zum Schreibtisch und setzen sich. Eine Zeitlang ruhen ihre Hände auf den Oberschenkeln. Schliesslich, nach einem kurzen Seitenblick, heben sie die Hände, bringen sie in Position. Ein gemeinsames Einatmen, und sie beginnen, ihre Finger über die Tasten tänzeln zu lassen. Auf dem Bildschirm erscheint die erste Zeile:
„AUSSEN. LEUCHTTURM – TAG“
Nein, so sieht vierhändiges Drehbuchschreiben definitiv nicht aus. Schön wäre es ja, so ein gemeinsamer Schreibvorgang, bei dem man intuitiv eine gemeinsame Sprache findet und sie aufs Papier strömen lässt. Zum Glück kann ich auch eine andere mögliche Fantasie nicht bestätigen, bei der einer der beiden Autoren im Zimmer auf und ab schreitet, den Blick nach Innen gerichtet oder in eine unbestimmte Ferne, und Sätze aus der Luft greift, die sein Kollege hinter dem Schreibtisch eifrig in den Computer tippt.
Viel näher liegt die Vorstellung eines Writers’ Room, wie er mit dem Serienboom der vergangenen Jahre zunehmend Beachtung gefunden hat. Mangels eigener Erfahrung stelle ich ihn mir als einen magischen Ort vor, klassischer Weise ein völlig verqualmtes Zimmer, in dem es eng wird vor lauter Menschen, die vor eigenen Ideen platzen, oder, zeitgemässer, ein nüchternes Zimmer voller zurückhaltender Spezialisten, dieser für Charakterzeichnung, jener für Dialogwitz, die miteinander an der möglichst perfekten Narration basteln.
Dabei geht es den Autoren einer Fernsehserie vermutlich nicht viel anders als jedem Duo, das sich zusammenfindet, um gemeinsam einen Film zu schreiben, nicht anders als Ingo, dem Regisseur, und mir, dem Drehbuchautor: Am Anfang stehen lauter Fragen. Wie wollen wir vorgehen? Wie teilen wir uns die Aufgaben oder Arbeitsschritte, und teilen wir sie überhaupt? Oder versuchen wir, alles gemeinsam zu machen? Das haben wir uns jedenfalls gefragt und fragen es uns immer wieder, seit wir mit unserem Langfilmbuch begonnen haben. Es ist so selbstverständlich, wir alle sind gewöhnt daran, im Abspann mehr als einen Namen zu lesen, der für das Buch verantwortlich zeichnet. Aber so normal sie ist, so kompliziert ist die Angelegenheit.
Was mir persönlich schwerfällt: Gemeinsam an den Punkt zu kommen, an dem eine Szene lebendig wird. Wenn ich alleine schreibe, beginnt der Film zu laufen, sobald ich die ersten Sätze formuliere, noch unscharf vielleicht, doch etwas kommt in Bewegung, unsichtbar, in meiner Vorstellung. Bei Zweien laufen zwei solche Filme im Kopf, die anders aussehen, aber zu einem Text werden sollen. Und manchmal kommt eben nichts so recht ins Laufen, die Gegenwart des Anderen lenkt mich ab, ich frage mich, was er wohl gerade denkt oder erwartet und kann mich nicht richtig auf das einlassen, worum es eigentlich geht: auf eine Wirklichkeit ausserhalb des gemeinsamen Raums.
Wenn man denn einen gemeinsamen Arbeitsplatz hat. Ingo und ich treffen uns am Computer, der eine von Berlin, der andere von Bern aus. Was da besonders schwierig ist: zu schweigen. Stille zuzulassen und auszuhalten, denn es kommt einem so vor, als wäre man erst wirklich da, wenn man redet. Es ist seltsam, minutenlang stumm vor dem Bildschirm zu sitzen und den eigenen Gedanken nachzuhängen. Womöglich gelangen wir dabei zu ganz unterschiedlichen Punkten, denken an andere Figuren oder eine andere Stelle in der Szene. Dann überraschen wir einander, wenn wir weitersprechen, und das kann inspirierend sein, ein plötzlicher Perspektivwechsel, eine unerwartete Alternative zur eigenen Vorstellung. So ein produktives Wachrütteln habe ich alleine selten.
In meiner bisherigen Erfahrung bedeutet das gemeinsame Schreiben vor allem ein gemeinsames Sprechen. Es geht mehr um zwei Stimmen, die sich einander nähern, bis sie einen gewissen Gleichklang gefunden haben, als um eine Stimme, die ihre Sprache sucht. Und es wird umso schwerer, desto mehr wir uns dem eigentlichen Aufschreiben nähern, der konkreten Geste, dem genauen Dialog. Da kommen wir nun langsam hin, da tasten wir uns heran.
Etwas, woran ich mich regelmässig erinnern muss: Von mir selbst abzusehen, das Eigene loszulassen, um zusammen schreiben zu können. Das ist eigenartig, denn irgendwie geht es trotzdem darum, etwas Eigenes zu gestalten. Und noch merkwürdiger: Meistens entstehen die besten Ideen, wenn ich nicht krampfhaft nach einer guten eigenen Idee suche. Wenn ich offen bin für das, was der Andere einbringen könnte. Der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase hat das einmal schön auf den Punkt gebracht: „Man muss das Filmemachen für eine gesellige Arbeit halten und die Erfindungen der anderen nicht fürchten, sondern auf sie hoffen.“