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Eine ziemlich spannende Kolumne #10: Erkenntnisse einer Schneekönigin

Frau Boss spielte über Weihnachten und Neujahr auf dem zugefrorenen Mühleplatz in Thun in einem mal mehr, häufiger weniger geheizten Zelt „Die Schneekönigin“ (Winterzauber Thun) und lernte dabei so dies und jenes über Kinder und deren Theaterverständnis. Ein kurzer Einblick. Von Seelenreiter // Barbara Boss

Kinder sind das ehrlichste Publikum

Kinder lachen laut. Sehr laut. Zu laut, vielleicht. So laut, dass sich Gäste im Kaffee nebenan während der Schülervorstellungen mit 300 aufgeregten ErstklässlerInnen angeblich beschwert haben sollen. „Kultur isch ja guet u rächt, aber nid dert, wo mier wei käfele“.

Kinder weinen vor Angst. Ich entschuldige mich hiermit nochmals aufrichtig bei dem kleinen Jungen, den ich wohl ein bisschen zu arg mit meinem bösen Blick fixiert habe. Er wollte nach der Aufführung dann auch kein Foto mit mir.

Kinder sagen gnadenlos ehrlich ihre Meinung. „Dasch ez huere längwilig gsy“, meinte einer mit spitzbübischem Grinsen nach der Aufführung zu mir. „Tschüss, merci bisch da gsy“, erwiderte ich.

 

Kinder sind die besten Dramaturginnen und Dramaturgen

Sie bemerken jeden noch so kleinen Denkfehler, rutschen gelangweilt auf ihrem Platz hin und her, wenn die Erzählung vor sich hin dümpelt, und stellen am Ende die wirklich klugen Fragen. „Wieso flügt d’Schneekönigin am Schluss eifach dervo, ohni gäge d’Gerda ds kämpfe?“ – Weil es im Märchen auch so ist. Moment mal…

Kinder sehen, was sie sehen wollen

Sie lassen sich nicht durch die verschiedenen Versionen einer Geschichte verwirren und machen ganz einfach keinen grossen Unterschied zwischen der eiskalten, kinderentführenden Schneekönigin in der Inszenierung und der lieblichen Disney-Prinzessin Elsa im Film „Frozen“, der wirklich nur lose auf Andersens Märchen basiert. Für die zwei herzallerliebsten Zwillingsmädchen im Elsa-Kostüm, komplett mit Krönchen und hellblauem Tutu, die mir nach der Vorstellung „Schneekönigin! Du bisch soooo schön!“ jauchzend entgegenrannten und mich auf Kniehöhe umarmten, schienen die beiden Versionen jedenfalls irgendwie kongruent zu sein. Der weinende Junge von vorhin, der das noch tränenverschmiert und hinter den Beinen seiner Mutter hervorspähend beobachtete, starrte sie entgeistert an. Der hatte einfach komplett den Durchblick. Ein zukünftiger Dramaturg, da bin ich mir sicher.

Infos

Die Beiträge der "ziemlich spannenden Kolumne" stammen vom Kultur-Blog Seelenreiter.
Barbara Boss ist Mitglied des Theaterkollektivs Faust Gottes) und arbeitet als Dramaturgin und Produktionsleiterin.

Di 17.01. 2017