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Eine ziemlich spannende Kolumne #1: Wenn der Penis herüber winkt

Oder: Arbeiten unter erschwerten Bedingungen

Hinsetzen! Konzentrieren! Den inneren Schweinehund überwinden und die Theaterprobe planen. Schliesslich ist es ja schon über ein Jahr her, seitdem ich mit der Theaterproduktion «Vor die Hunde» gegangen bin, ähm nein, mit der Theaterproduktion «Vor die Hunde» Vorstellungen hatte. Und zwar in Chur. Jetzt steht Winterthur an. Zu Beginn des Stücks ist es wichtig, dass…Oh mein Gott! Das darf nicht wahr sein. Da versucht man sich zu konzentrieren und dann so was. Ein überdimensionaler Penis winkt zu mir herüber. Ein Porno. Drüben beim Nachbarn. Bitte nicht, nein, bitte nicht auf diesem 75 Zoll-Bildschirm! Zum Glück sehe ich nur die linke obere Ecke und nicht das ganze Bild. Also wieder ran an die Arbeit.

Zu Beginn des Stücks ist es wichtig, dass Kaspar ganz behutsam die Türe öffnet, ganz sanft und leise, damit die Spiegelszene funktioniert. Ohne zu wackeln. Ohne Wackeln. Kein Wackeln, bitte!!! Ich sehe den wackelnden Oberkörper eines Mannes, der seine Filmpartnerin von hinten beglückt. Verdammt, wie soll ich mich da auf meinen Laptop fokussieren, wenn dieser Bildausschnitt grösser ist als mein Bildschirm?! Ich bin nicht sicher, ob ich mit dem Nachbarn Mitleid haben oder ihn dafür bewundern soll, dass er seinen Nachmittag mit Pornos schauen verbringt. Mit hopsenden Möpsen. Nun gut. Kann mir egal sein. Ich muss ja arbeiten. Weiter im Text. In der Badezimmerszene ist das Tempo wichtig und der Rhythmus. Die Dialoge müssen immer schneller werden, ja immer schneller, schneller bis es – oh jaaa! – im Höhepunkt endet! Natürlich der Höhepunkt des Stücks! Der Höhepunkt mit Eva. Also ich mein, äh, der Höhepunkt im Restaurant…

Ach, ich gebe auf. Die Konzentration ist hin. Du hast gewonnen, du verruchte Aussicht auf des Nachbars Bildschirm! Was kommt jetzt? Wackelnde Pos, Schnitt, wackelnde Köpfe. Ah Moment, kleine Notiz am Rande: Die synchronen Bewegungen der Schauspieler müssen wir noch unbedingt ganz genau anschauen.

Und so, Multi-Tasking sei Dank, ist die Probe trotz der erschwerten Bedingungen doch noch vorbereitet!

 

Infos

Magdalena Nadolska ist freischaffende Regisseurin und Begründerin der freien Berner Theatergruppe Mydriasis. Ihr Stück «Vor die Hunde» läuft vom 16. bis 31. Januar 2016 im Kellertheater Winterthur.
Die Beiträge der "ziemlich spannenden Kolumne" stammen vom Kultur-Blog Seelenreiter.

Di 19.01. 2016