Es ist nun schon mehr als eine Woche her, seit das letzte Gitarrenkabel aus dem Verstärker gezogen wurde. Der richtige Zeitpunkt also, um noch einmal etwas Kilbi-Staub aufzuwirbeln und das Festival Revue passieren zu lassen. Von Sven Sommer
4. Juni 2017. Der Zug hält an einem Provinzbahnhof auf der Strecke zwischen Bern und Fribourg, kurz vor dem Röstigraben. Düdingen sagt uns der Schriftzug auf dem blauen Schild – Dorfname und Beschreibung zugleich. Trotz einer rechtsbürgerlichen Mehrheit im Parlament, bringt gefühlt jede zweite Gemeinde in diesem Land ein Festival zu Stande, Stadt wie Dorf. Doch Kultur hat nichts mit Politik zu tun. Wohl eher mit Leidenschaft, und davon gibt es an der Kilbi spürbar viel.
Wegweiser weisen den 15-minütigen Weg über Felder und Äcker, in Richtung Schifenensee zu dem Festival, bei dessen Ticketerwerb ausser fester Währung auch Glück und Timing matchentscheidend mitspielen – die Kilbi ist jeweils nach wenigen Minuten ausverkauft. Wer es zu einem Dreitagespass schafft, den erwartet ein schmuckes, kleines Festival mit einem alljährlich grossen Line-up, wo sich so einige Clubs eine Band oder zwei von abschneiden könnten. Böse Zungen reden von einem „Hipsterfestival“. Nun.
Bilder von JDUBOiS
Das Drumherum
Ein Booking, welches sich Jahr für Jahr aufstrebende sowie etablierte Szene-Acts angelt, zieht eine Menge Szenepublikum an. Diese ernähren sich wenn möglich nicht von Rösti und Bratwurst, sondern greifen lieber zu Falafel oder Crêpes. So hatten einige, nicht unbekannte Hauptstadtgastronomen einen Verpflegungsstand, das Serini etwa, mit belgischen Pommes oder die Bollwerk-Crêperie La Chouette, daneben gab es aber schon auch den obligaten Asia-Food oder Cake an der Bar.
Überhaupt gibt es alles, was es an einem Festival braucht: Zwei grosse Bühnen, bei denen jeweils auch das Publikum überdacht ist, und die kleine Club-Stage im Bad Bonn selbst. Genügend Bars, zwei Toi-Toi-Ecken, Merch-Stand und Presse-Ecke, Pfand auf den Bechern. Kurz: Es herrscht Festivalstimmung. Was denn nun gross anders sein soll? An den Bars, Foodständen und WCs steht man selten länger als 5 Minuten an (ok, Frauen beim Klo vielleicht etwas länger, habs nicht gemessen), die Security ist freundlich, das Bier kostet nur 4.50 die Stange und der Merch-Stand wird von Fizzen betrieben.
Die Bands
Von der allerersten Band wird normalerweise nicht gerade viel erwartet, was zu einer äussest positiven Überraschung führte, denn die Jungs von YAK elektrisierten das Publikum mit ihren schnellen und stark verzerrten Gitarren. Wäre es schon dunkel gewesen bei ihrem Auftritt, der Lichttechniker hätte höchstens zu Beginn des Gigs das Strobo einschalten und am Ende wieder ausschalten müssen. Doch die Sonne schien hell, es war ausgesprochen gutes Wetter und so manch einer (auf jeden Fall einer…) bereute es ohne Badehose gekommen zu sein und so den geographisch günstigen Standort nahe am Wasser auszunutzen. Das nächste äusserst unterhaltsame Konzert folgte von Afrirampo, zwei Schwestern aus Japan, die in hübsche Kleidchen gekleidet mit wildem, noisigen Garage-Rock auf Gitarre und Schlagzeug eindroschen und ins Mikrophon schrien. Die beiden weckten neben dem Verlangen nach Bier auch den Wunsch nach Versöhnung.
Grosse Namen hegen grosse Erwartungen. Angel Olsen war einer der grössten Namen des Wochenendes und erwies sich den an sie gestellten Erwartungen mit ihrer überragenden Stimme (die live besser zur Geltung kommt und stärker in den Vordergrund rückt als auf dem Tonträger) als äusserst würdig. Während des Auftritts spielten sie und ihre in Anzüge gekleidete Band fast nur, abgesehen von «Shut up and kiss me» , ihrem wohl bekanntesten Stück, die ruhigen Songs, was gegen Ende in etwas sehr weinerliche Mitschunkelmusik ausartete. Zugabe gab es keine, der Zeitslot war wohl schon aufgebraucht.
Etwas härtere Saiten zogen die drei bösen Buben von Sleep auf. Schon die Wand aus Marshall- und Ampegverstärkern machten jedem, der ihren Bandnamen zu ernst interpretierte, auf ernüchternde Art und Weise klar, welche Töne nun angespielt werden würden. Es waren derer vor allem die Tiefen, die sie den heruntergestimmten und auf High-Gain gespielten Gitarren entlockten. Ihre ausschweifenden Dope-Doom-Stoner-Rock Songs hielten sie seit ihrer Gründung 1990 auf lediglich vier Alben fest, wohl weil sich kein Produzent oder Manager je traute, ihnen Feuer unterm Arsch zu machen.
Am Tag danach: Der Sonntag
Real Madrid hatte die Champions-League gewonnen, was in grossen Lettern auf der Titelseite des Sonntagsblick zu lesen war, der auf einer Bartheke auflag. Somit war auch den Campingfreunden, die den Powerbank zu Hause liegen gelassen hatten, eine faire Alternative zur gewohnten News-App geboten. Der letzte Tag des Festivals hatte wiederum viel zu bieten, Regen gehörte zum Glück nicht dazu. Im Regen hätte das Konzert von Phil Hayes wohl auch etwas weniger an den Strand gepasst, an dem es stattfand, unten am See. Der Multiinstrumentalist und ehemalige Musiker bei Giaggobo-Müller spielte gemütlichen und wie in die Szenerie passenden Folk-Rock mit seiner Band The Trees. Zurück auf dem Festivalgelände waren bereits One Sentence. Supervisor zu höhren, eine Band aus Baden – gut umgesetzter, krautiger Shoegaze-Indie mit markanten Bassläufen, mit der Zeit jedoch taktisch stagnierend und unaufregend.
Zu überzeugen hingegen wussten Autisti, eine Westschweizer Band, die mit Gitarre(n), Schlagzeug und Bass-Synthie eine kraftgeladene, extrem schnelle Grunge-Show auf die Bühne rotzten, als gäbe es nichts Naheliegenderes an einem Sonntagnachmittag. Das schien Mitski ähnlich zu sehen, mit stadiontauglicher Stimme und verglichen mit der Singmelodie sehr harten Gitarrenriffs.
Für eine der grössten Überraschungen des Festivals sorgten Schnellertollermeier. Sie holen aus einer (fast) 0815 Rockband-Instrumentalisierung, was manch ein Technoproduzent nicht aus seinem Cubase zu holen vermag. Kontinuität und Abwechslungsreichtum, elektronische Musik mit Gitarre, Bass, Schlagzeug – äusserst tanzbar. Gegen Ende des Festivals wurden King Gizard and the Lizard Wizard ihrem Headlinerdasein (bei der Kilbi gibt es zwar keine Headliner im plakativen Sinn, doch diese Jungs wären es sicherlich gewesen), gerecht. An dieser Band ist alles etwas extraordinär, angefangen beim Bandnamen und aufgehört bei der Bandaufstellung auf der Bühne – E-Piano, Bass, 3 Gitarren, 2 Drums. Eine Menge Menschen auf der Bühne für eine Indierock Band. Und das war vor dem Konzert auch gerade die Frage, was werden sie spielen? Aus ihrem neunalbigen Repertoire, das von Metal bis Glam so ziemlich alles beinhaltet, setzten sie eine sehr Indierock und Psycadelic-Rock-lastige Setlist zusammen.
Die Kilbi Veranstalter könnten es sich dank der Ausverkauft-Garantie leisten, schlechtere Bands zu buchen. Tun sie aber nicht. Sie könnten auch jedes Jahr grösser werden, Platz wäre genügend da. Tun sie auch nicht. Das Booking ist seit längerem an einem Punkt, an dem keine Verlangen und Vorlieben mehr berücksichtigt werden müssen, jedoch ist es hier so, dass durch die Arbeit der Booker an diesem Festival Verlangen und Vorlieben für Bands generiert werden.