Mit Fractures & Fragments legt die Luzerner Indie/Emo Band ein beachtliches Debut hin, das eingängig und vielfältig zugleich ist. Von Orlando Willi
Die Tage werden kürzer, der Himmel ist nebelverhangen und die Blätter fallen von den Bäumen. Melancholie und Weltschmerz befallen unsere Herzen. Und als ob jemand passend zur Jahreszeit einen Soundtrack in Auftrag gegeben hätte, liefert Cold Reading ein stimmiges und nachdenkliches Erstlingswerk ab. Obwohl die vier Herren teils noch sehr jung sind, verfügen sie bereits über reichlich Banderfahrung (u.a. Face the Front, A River Crossing), und das hört man vom ersten Song an. Der Bandname beutet auf Deutsch so viel wie kalte Deutung, eine von Gedankenlesern verwendete Technik, und geht auf einen Song von Face the Front zurück.
Track by Track
«Confessions» startet mit einem ruhigen Intro und steigert sich zu einer von Schwermut geprägten Midtempo-Nummer. Der zweite Track «Safe and Sound» holt einen aber gleich wieder aus der Lethargie. Der Kopf nickt mit, eine Aufbruchsstimmung breitet sich aus und man stimmt in Sänger Mikes Zeilen «we can’t hold back the things that we wish for» ein. Die Intensität des Albums steigert sich kontinuierlich und jeder Song zeigt eine neue Facette ihres musikalischen Könnens. Zum dritten Song «Moons of Jupiter» hat die Band ein Video mit Aufnahmen ihrer Griechenland-Tour im Sommer gedreht. Textlich geht die Suche nach Sinn, Antworten und dem «wohin?» weiter, allerdings mit der Erkenntnis «we’ll never get an answer only new questions».
Auf das autobiographisch anmutende, aber nicht an eine bestimmte Person adressierte «Oh Brother» folgt mit «Remember» wieder ein sehr nachdenklicher Song. Bass und Gitarre ziehen sich leicht zurück, und atmosphärische Piano- und Orgelklänge erhalten viel Raum. «Losing Ground» setzt das Auf-und-Ab-Spiel fort und fegt mit fetten Gitarrenwänden und satten Drum-Beats sogleich das Laub von der Wiese. Es ist der härteste der neun Songs und noch ein oder zwei mehr solche Kracher hätten dem Album auch gut zu Gesicht gestanden.
«Flowers» übernimmt Energie und Tempo und wirkt beinahe ungewohnt fröhlich. So legt uns der Text nahe, nicht immer nur die grossen Fragen an die Welt zu richten: «Why can’t we just focus on the little things? Like watching flowers bloom in my backyard?». Mit dem zweitletzten Song «Everything We’re Longing For» schliesst sich thematisch der Kreis und wir erkennen, dass alles wonach wir uns sehnen, irgendwo in uns selber liegt. Das Lied überzeugt zudem mit seiner spannenden Rhythmik, welche die gestartete Achterbahnfahrt der Gefühle musikalisch unterstützt. Auf dem über fünfminütigen Titeltrack ziehen Cold Reading zum Ende nochmals alle Register und bieten einen musikalisch höchst abwechslungsreichen Schlusspunkt ihres ersten Albums. «Go, go where your Heart belongs!»
Starkes Debut
Fractures & Fragments mag durchgehend zu überzeugen. Obwohl die Songs in sich geschlossen sind, scheint das Album musikalisch wie textlich eine Geschichte zu erzählen. Die essentiellen Fragen nach dem Sinn des Lebens bilden das thematische Gerüst und die Songreihenfolge führt zu einem Spannungsbogen, welcher der Platte zusätzliche Qualität verleiht. Platz für einen weiteren schnellen, härteren Song wäre aber durchaus vorhanden. Sänger Mike besticht mit seiner vielseitigen Stimme, welche an manchen Stellen durch die Backvocals von Gitarrist Christian und Bassist Arthur ergänzt werden und so zu dreistimmigen Gesangsparts führen. Die Produktion klingt sauber und kraftvoll, lässt aber genügend Ecken und Kanten stehen. Ein sehr vielversprechendes, harmonisches Album, das trotz Melancholie eine Leichtigkeit bewahrt und mit filigraner Instrumentalarbeit auftrumpft.