Bei manchen Menschen reichen auch Hunderte von Bildern nicht aus, um sie einzufangen, zu widersprüchlich ist ihre Persönlichkeit, zu zahlreich sind ihre Gesichter. Bei Menschen wie Coco. Von Dela Wälti
Über fünf Jahre hinweg hat Olivier G. Fatton Coco begleitet, fotografiert, geliebt. Sie hatte als eine der ersten Schweizer Transfrauen, die ihr Geschlecht operativ umwandeln liess, Berühmtheit erlangt. Doch die Geschlechtsanpassung hinterliess sie seelisch und körperlich angeschlagen. In ihren letzten Jahren litt sie an Knochenschwund, Psychosen, Depressionen. Bis zum Punkt, als sie ihr Leben nicht länger ertrug. Nun mehr als zwanzig Jahre nach ihrem Suizid ist ein umfassendes Porträt von Coco erschienen mit zahlreichen Fotos und einer Kürzest-Biografie von Dunia Miralles. Einfühlsam zeichnet Miralles diese ungewöhnliche Beziehung nach. Dabei lässt sie die Erinnerungen vom Fotografen Fatton für sich selbst sprechen und widersteht der Versuchung, Coco vollkommen aufschlüsseln, sie erklären zu wollen.
Marc-Patric, hiess sie. Coco, so nannte sie sich. Oder Dana whatshername, Patricia, Éve-Claudine. Doch so zahlreich ihre Namen waren, noch vielfältiger scheinen die Personen, die einem da von den Seiten entgegenblicken: mal schüchtern, mal verspielt, dann sinnlich, verloren, strahlend, aber immer wunderschön. Es fällt nicht schwer zu verstehen, wieso Fatton wieder und wieder auf den Auslöser drücken musste, seit er diesen «lichten und schwermütigen Engel» 1989 das erste Mal in einem Berner Schwulenlokal getroffen hatte. Unter der Bedingung, dass er auch ihre Geschlechtsanpassung dokumentieren würde, stimmte die damals 20-Jährige zu, für ihn zu posieren. Aus diesem professionellen Arrangement wurde bald mehr, die Bilder wurden intimer: zu Momentaufnahmen einer Beziehung, zum Tagebuch einer Liebe, zur Dokumentation einer schillernden Persönlichkeit.
Am Ende bleibt unklar, wer Coco war, aber das scheint passend für eine Person, die immer viel besser wusste, wer oder was sie eben gerade nicht sein wollte. So sind schliesslich auch diese Bilder nur ein weiterer Schatten in ihren dunklen, traurigen Augen. Und man fragt sich, wer sie noch alles gewesen wäre, wenn sie und die Welt sich doch nur etwas mehr geliebt hätten.