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Kolumne #15: Gjuflet

Aus dem Berliner Fussballtagebuch

Von schrulligen, liebenswürdigen Menschen aus dem Berliner Osten. Und von der Eigenart des weltgrössten Flughafens ausser Betrieb. Von Moritz Marthaler

Es ist noch nicht mal richtig Frühling, genau gefühlt gerade wieder gar nicht, und trotzdem ist da schon wieder was im Busch.

Vor ein paar Wochen wars, Kollege McLoughlin funkte aus Hamburg südwärts “alles bereit”, Stadion am Millerntor auf St. Pauli, 2. Bundesliga, zu Gast der 1. FC Union Berlin. 0:1. 0:2. Beinahe 0:3. Dann 1:2. Dann Schluss. Gewinnen die einfach, so hurti schnäu fünf Mal nacheinander, später auch sechs Mal, zuletzt eine kurze Verschnaufpause gegen Hannover. Plötzlich beschäftigen sich hier viele mit diesem einen Gedanken.

Was passiert, wenn die in fünf Wochen auch noch Zweiter sind? Oder gar Erster? Ist dann Berlin plötzlich eine Fussballstadt? Zwei Vereine in der Bundesliga, reicht das dafür?

In Berlin ist es mit dem Fussball ein wenig wie in Bern: Er findet vorderhand in der Geschichte statt. Rund ums Wankdorf deuten ja die ersten Familienväter mittlerweile auf den Grossvater, wenn sie vom Spross gefragt werden, “wie war das damals beim letzten Titelgewinn?” und so ähnlich glanzlos ist die Gegenwart auch in Fussballberlin. Hertha hält grad so mit, das ist toll, aber von Titeln ist man da weiter entfernt als das Mattequartier vom nächsten Supermarkt. Dabei war Berlin zeitweise ein richtig aufregender Ort diesbezüglich. Tatsächlich ist es die Stadt mit den meisten Bundesligisten so weit: Hertha, Tasmania, Tennis Borussia und Blau-Weiss 90. Gleichzeitig waren nur die Hertha und Tennis Borussia mal oben, 1973, lange her, und mitreissend soll es auch nicht gewesen sein.

Ja, nach Berlin kommen nur die allerwenigsten wegen des Fussballs. Es gibt da bessere Gründe, sie wurden an dieser Stelle schon mal erwähnt, sie werden wohl auch wieder erwähnt werden. Und auch dann, wenn Union Berlin, dieser wunderbare Verein, tatsächlich aufsteigen sollte, wenn die Feier im und um das grossartige Stadion Alte Försterei dann vorbei ist und die Mannschaft mit diesen heldenhaften Namen, all die Skrzybskis, Kreilachs, die Puncecs und Redondos, wenn sie dann alle in der Bundesliga spielen, antreten gegen hochbezahlte, begehrte, langweilige Stars, ja selbst dann wird wohl in Berlin kein Fussballfieber ausbrechen.

Doch das ist egal. Den Unionern, diesen etwas schrulligen, aber liebenswürdigen Menschen, macht es gerade unendlich Spass, vom Aufstieg zu träumen. Und hier und da gibt es sogar Spuren in dieser Stadt, Spuren ausserhalb des Planeten Union. Ein Plakat im Bus. Eine Flagge beim Fahrradhändler. Und ein bisschen Nervosität in der Sportredaktion. So schön. So beiläufig.

Kollege McLoughlin funkte später nochmal südwärts. Es fielen Kraftausdrücke. Dort oben im Norden haben sie ja gleich doppelt Probleme. Die einen stehen an der Falltür zur Zweitklassigkeit, doch die Gefahr, dass sie den anderen, den Kleinen, auf den Kopf fallen, die besteht nicht. Auch St. Pauli kämpft gegen den Abstieg. Hm, die tun mir leid, irgendwie. Wahrscheinlich das Wetter.

Item und auso, der Frühling geht ja gerade erst los, im Fussball, und meteorologisch sowieso. Es gibt viel, was bis im Sommer noch passieren wird. Die Mannen vom BER, vom weltgrössten Flughafen ausser Betrieb, wollen nämlich im Sommer bekannt geben, bis wann sie denn gedenken fertigzubauen. Bis dahin wollen sie “intensiv diskutieren”, wie es hiess. Das ist grossartig. Oder wie man in Bern sagt: gjuflet.

Infos

Zur Kolumne: Moritz Marthaler, Berner Sportjournalist, entdeckt die deutsche Metropole Berlin für sich. Gleichzeitig schielt er auf das Geschehen in der Bundeshauptstadt Bern, manchmal auch auf den ambitionierten, aber öfter erfolglosen Berner Grossklub BSC Young Boys. Bern ist der Ausgangspunkt für Annäherungen und Schwenker auf Berlin und seine unendlichen Ausgehmöglichkeiten, zusammengewürfelte Bevölkerung, launischen Zeitgenossen und tausend Eigenheiten.

Mi 05.04. 2017