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Ausgabe #3: „Haas und die toten Enten“

Die dritte Ausgabe der Kolumne von unserem Mann in der Weltmetropole: Moritz Marthaler schaut monatlich von Berlin auf Bern rüber. Von Moritz Marthaler

Vor dem Sommer sind wir alle gleich. Auch in Berlin brennt derzeit die Sonne, dass sich die Brücken biegen. Die Badehose wird zum Chique des armen Mannes, alle anderen ziehen sofort nach Feierabend nach, es wird Eis gegessen, Bier getrunken, so weit, so gut, so schön. Richtig, der nächste Schritt wäre dann der in die Aare. Und genau hier geht’s zum Problem. Die Hoffnung auf einen erfrischenden Sprung in die Spree war zwar ein klein wenig gewachsen, an diesem Openair in Spandau, immerhin ein wenig weg vom Zentrum, von der grossen Masse, vom Schmutz. Guten Mutes lief man also zum Wasser. Malte sich die Abkühlung schon aus, sehnsüchtig, wohltuend auf der Haut. Schliesslich wurde die Premiere nur knapp vereitelt: Die tote Ente, sie schaukelte bedächtig, bauchauf neben dem Steg auf dem Wasser.

Vor dem Sommer mögen wir alle gleich sein, vor dem Türsteher sind wir es nicht. Gerade in Berlin, diesem Inbegriff des Jekami, diesem politisch korrekten Herzen Europas, wo Toleranz und Gleichheit auf jeder Flagge steht, da hat es sich am Eingang zum Club dann mit Einigkeit und Recht und Freiheit. Noch viel interessanter als die Willkür der Clubwächter ist deren beflissentliches Bemühen, die Schlange nicht schrumpfen zu lassen, sprich: alles zum Eindruck einer beliebten Location beizutragen. Klar, ein voller Vorplatz ist ein halber Eintritt, auch wenn drinnen dann der eine oder andere ab der Leere stutzt. Der Schein von Exklusivität muss gewahrt bleiben – auch deswegen heisst es mal ja, mal nein.

Ein Sommerloch kennt Berlins Nachtleben natürlich nicht, das wäre für eine 24×7-Stadt auch ein klein wenig zu einfach. Und sowieso: Es ist ja Geschichte, das Sommerloch, König Fussball ist zurück. Etwas gar Verkommene meinen dazu, endlich ergebe das Leben wieder einen Sinn, andere freuen sich schlicht und einfach darauf. In Deutschland tut man das eine Woche vor dem Startschuss in der Bundesliga traditionell mit der ersten Pokalrunde. Eine unliebsame Überraschung setzte es da auch für Haupstadtklub Union ab: Der Zweitligist verlor gegen Viktoria Köln aus der vierten Liga mit 2:1, der Fehlstart ist nach dem Aus und nur einem Punkt in zwei Meisterschaftspartien ebenfalls perfekt. In allen drei Spielen hatte Union die Führung verspielt, die Berliner zeigen Nerven wie Zahnseide. „Anderswo entlässt man in dieser Situation den Trainer“, wird der gelb-schwarz gewandete Beobachter nun zurecht bemerken. Doch Norbert Düwel sitzt noch fest im Sattel: Seine erste Amtshandlung nach dem Pokalaus waren zwei Straftrainings. Die Mannschaft ist der Star, sozusagen.

Grosse Egos gibt’s im Profifusball jede Menge, in Berlin scheinen sie fürs Erste noch besser miteinander klarzukommen als in Bern… Unions Torwart heisst übrigens Haas. Nach der Pleite am Samstag stauchte er seine Leute noch auf dem Platz nach allen Regeln der Kunst zusammen. Geduckt schlichen die Spieler davon, nicht toten, aber zumindest angeschlagenen Enten gleich.


Zur Kolumne

Moritz Marthaler, Berner Sportjournalist, entdeckt die deutsche Metropole Berlin für sich. Gleichzeitig schielt er auf das Geschehen in der Bundeshauptstadt Bern, vor allem auf den ambitionierten, aber öfter erfolglosen Berner Grossklub BSC Young Boys. Die Resultate von YB bilden den Ausgangspunkt für eine Annäherung und Schwenker auf Berlin und seine unendlichen Ausgehmöglichkeiten, zusammengewürfelte Bevölkerung, launische Zeitgenossen, tausend Eigenheiten.


 

Fr 14.08. 2015