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#8 BILDGEWANDT: «Par-delà la vallée de Richard»

von Michael DeForge

Für seine etwas mehr als dreissig Jahre hat der kanadische Künstler Michael DeForge schon eine beachtliche Anzahl vollgekritzelter Seiten vorzuweisen: Sein "Leaving Richard's Valley" alleine fasst schon deren 480. Diesen Herbst ist es nun auch auf französisch beim Genfer Atrabile Verlag erschienen. Von Dela Wälti

Eine Illustration DeForges für die New York Times zum Titel: „The Evangelicals Who Are Taking On QAnon“ (Bild: Michael DeForge)

Anfangs 2017 hat Michael DeForge damit begonnen, seine Comics um eine Gruppe von vier Tierfreunden auf Instagram zu teilen: eine Seite, ein Post. Dies wäre schon so ein beeindruckendes Projekt gewesen, auch ohne dass Leaving Richard’s Valley schliesslich 480 solcher Posts gefüllt hätte. Nein, dem Comic-Zeichner, Künstler und Illustrator aus Toronto mangelt es ganz sicher nicht an Ideen. DeForge hat unteranderem für die New York Times gezeichnet, für Adventure Time designt und dazu nebenbei noch in den letzten zehn Jahren elf Comic-Bücher herausgegeben. Dabei hat er einen einzigartigen Zeichenstil entwickelt, der sich auf grossflächigen Postern ebenso gut macht wie auf den kleineren Comicpanels. Die starken Farben und klaren, geometrischen Formen ziehen den Blick unweigerlich auf sich und verraten sein Flair für die Illustration. Aber auch seine Liebe zu den klassischen Comic-Strips wie The Peanuts oder Calvin and Hobbes wird deutlich, wenn er wie in Par-delà la vallée de Richard seine Protagonist*innen alle möglichen, kurzen Abenteuer erleben lässt und dabei Gesellschaftskritik, mit allerhand Absurdität und Humor mischt. Deshalb passt es auch, dass Par-delà la vallée de Richard für einmal in für den Kanadier sehr untypischem Schwarz-Weiss gehalten ist. Trotzdem trägt jede Zeichnung klar seine Handschrift: Waschbären, die wie Herzen mit Füssen aussehen und Gesichter, wie Bowling-Kugeln aus drei Punkten, das gibt es nur in einer Welt von DeForge .

Die vier Freunde müssen schweren Herzens das Tal von Richard verlassen (Bild: Michael DeForge)

Par-delà la vallée de Richard beginnt, wie es der Namen schon verrät, im Tal von Richard, der idyllischen Heimat einer Sekte rund um den charismatischen Namensgeber. Aber der Frieden trügt und bekommt schon bald Risse, als Lyle, der Waschbär, erkrankt. Seine Freunde – der Hund Neville, Ellie, das Eichhörnchen, und die Spinne Omar – brechen, um ihn zu heilen, die Regeln des Tals und werden deshalb kurzerhand von Richard ausgestossen. Wie so viele, die ein Lebensstil abseits des Status Quo predigen, duldet er selbst nämlich keine Abweichungen. So beginnt also die Odyssee der vier Tierfreunde durch Toronto auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Sie lernen dabei viel über die Welt ausserhalb des Tals und ebenso viel über das Leben, das sie zurückgelassen haben. Auch wenn sich die Idylle im Tal als blosser Schein entpuppt hat, schmerzt sie ihr Verlust dennoch. Die Stadt kann nämlich kalt und einsam sein, und kein besonders freundlicher Ort für Tiere, die aus dem Tal kommen.

DeForge zeigt mit Par-delà la vallée de Richard also nicht nur die Schattenseiten eines Lebens in einer Sekte. Vielmehr beleuchtet er, vor was die Bewohner*innen des Tals bei Richard Schutz suchen: Einsamkeit, Planlosigkeit, sozialem Druck und toten Träumen. Dinge, so wird im Laufe des Buches klar, die auch Richard selbst versucht hat, weit hinter sich zu lassen. Ohne Erfolg. In eingeschobenen interviewartigen Sequenzen, kommen auch alte Bekannte von ihm zu Wort und je mehr über seine Vergangenheit bekannt wird, desto mehr schrumpft er vom gottähnlichen Herrscher des Tals zu nichts als einem weiteren seiner Bewohner. Und wie diese muss auch er lernen, dass einem manche Dinge immer einholen werden, egal ob in der Stadt oder in einem verlassenen Tal. Doch trotz dieser eher ernsten Themen ist der Grundton des Buches humorvoll. Es wimmelt nur so von Figuren, die es schwierig fällt, ernst zu nehmen, zu überspitzt sind sie, zu comichaft. Wenn dann zum Beispiel die machthungrige und nicht besonders freundliche Caroline verbissen Yoga macht, hat dies unweigerlich etwas Komisches. Dass es sich bei ihr um einen Frosch handelt, hilft natürlich auch nicht gerade und DeForge gelingt es hier meisterlich mit wenigen Strichen, die Entspannungsübung eher nach Kampfsport aussehen zu lassen.

Caroline Grenouille beim Yoga: DeForge bringt mit ganz einfachen Mitteln zum Schmunzeln (Bild: Michael DeForge)

Diese witzigen Szenen sind ein Grund, wieso man sich bei der Lektüre von Par-delà la vallée de Richard trotz des Umfangs bewusst bleiben sollte, dass man es hier weniger mit einem Roman in Comic-Form, als vielmehr mit vielen Kurzgeschichten, Fragmenten aus der Welt von Richard un co. zu tun hat. Wie The Peanuts eben, ganz viele kleine Daily-Comics, die hier schliesslich in einem Buch gesammelt worden sind. Deshalb gibt es auch nicht wirklich einen grossen Spannungsbogen, der einem nach jeder Seite hastig weiterblättern lässt, dafür aber jede Menge Platz für quirlige Nebencharaktere und komische Abschweifungen. DeForge scheint diese Freiheit jedenfalls auszukosten und führt die Lesenden von einem Einfall zum nächsten, von Massage-Spinnen über melancholische Schlangen zu eben Caroline, der Froschfrau, die sich später auch mit nicht ganz lauteren Mitteln ein Namen im Schneeschaufelbusiness macht. Somit ist es ein Buch, zu dem man immer mal wieder zurückkommen kann, ein paar Seiten zu lesen, die einem zum Schmunzeln und Nachdenken bringen, lächeln und träumen. Der Spruch „Der Weg ist das Ziel“ könnte indes nicht nur von Richard selbst stammen, er beschreibt Par-delà la vallée de Richard auch perfekt, nicht nur bezogen auf die Geschichte, sondern auch auf das Buch als ganzes.

Nicht alle haben das Zeug zur Sektenführer*in. Zum Glück… (Bild: Michael DeForge)

PS: Auf der Instagram-Seite gibt es sogar noch eine kurze Zusatzgeschichte, um die Fröschin Caroline und einen von ihr in die weltgesetzten Feiertag mit dem Titel „Happy New Year, Caroline Frog“. Also gerade passend, um das alte Jahr zu verabschieden und 2021 zu begrüssen.