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#5 BILDGEWANDT: «DAS LICHT, DAS SCHATTEN LEERT»

Tina Brenneisen

Es gibt Themen, über die wird selten gesprochen und noch seltener gezeichnet. «Das Licht, das Schatten leert» behandelt ein ebensolches Tabuthema: Die Totgeburt eines Kindes. Tina Brenneisen gibt uns in ihrer neusten Graphic Novel einen schmerzhaften Einblick in ihr Leben danach, ohne Lasse. Von Dela Wälti

«Es geht viel eher ums Akzeptieren, denke ich… Nicht um Problemlösung!»

«Das Licht, das Schatten leert», Tina Brenneisen

Es wäre also falsch zu sagen, Brenneisen verarbeite ihre traumatische Erfahrung in diesem Buch. Wahrscheinlich ist es viel eher so, dass nach einem einschneidenden Erlebnis, wie dem Verlust eines Kindes, es zuerst gar nicht möglich scheint über etwas anderes nachzudenken, zu schreiben, zu zeichnen. Sowieso «verarbeiten»; das klingt nach Abschluss, nach einem endlichen Prozess. Ihre Trauer aber kennt kein Ende, sie mag schwächer werden, gar erträglich, aber wie es an einer anderen Stelle heisst: «Ich glaube, ich werde auch noch in vierzig Jahren darüber heulen». Deshalb ist es umso erstaunlicher, dass einen «Das Licht, das Schatten leert» nicht nur das Herz in der Brust zusammen-, sondern auch die Mundwinkel im Gesicht nach oben zu ziehen vermag. Brenneisen gelingt es mit ihrer schonungslosen Ehrlichkeit nämlich immer wieder, das Komische in unserem täglichen Kampf mit der Endlichkeit herauszustreichen.

Die biologische Uhr tickt für Tini und Fritzemann (Bild: «Das Licht, das Schatten leert», Tina Brenneisen)

Nicht nur auf der Handlungsebene fällt die Graphic Novel durch ihre Dichte auf, jede der über zweihundert Seiten besticht zudem mit einer Fülle an Panels. Trotz der Skizzenartigkeit der Bilder werden die Gefühle der Figuren nur allzu deutlich. Ihre Haltung, ihre Gesichtsausdrücke, die Farben, die sie umgeben; Brenneisen beherrscht es mit wenigen Linien eine vielschichtige Stimmung wiederzugeben. Die stilisierten Zeichnungen lassen zudem Raum für die fantastischen Tagträumereien der Hauptfigur Tini. Da verwandeln sich auch mal Bürostühle in grausige, geschwürartige Monstrositäten oder die eigenen Eltern in einschüchternde Riesen. Ihre relative Einfachheit unterstützt zudem den intimen Charakter der Geschichte. Über dem gesamten Buch schwebt dieses Tagebuch-Feeling, man ist ganz nah an Tini, ihrem Freund Fritzemann, ihrem Leben, all den verzweifelten und den hoffnungsvolleren Momenten.

Lasse ist auf jeder Seite des Comics anwesend (Bild: «Das Licht, das Schatten leert», Tina Brenneisen)

Tina Brenneisens offener Umgang mit ihren Erfahrungen wurde 2017, bereits zwei Jahre vor der Veröffentlichung, mit dem Berthold-Leidinger-Preis, der höchstdotierten deutschen Comic-Auszeichnung, belohnt. Nach dem Umblättern der letzten Seite versteht man diese Entscheidung vollkommen. Es ist kein Buch, das einem so schnell wieder aus dem Kopf geht, dafür gehen einem Tinis Wut, Ängste, aber auch Hoffnungen zu nahe. Denn «Das Licht, das Schatten leert» endet auf einer optimistischen Note. Es bleibt der Hoffnungsschimmer auf ein Leben nicht nach, sondern mit dem Tod von Lasse. Nicht ohne Schmerzen, denn manche Dinge, wie die Narbe auf Tinis Bauch, verheilen nie ganz, aber das heisst nicht, dass man nicht wieder lernen kann, den Blick vom Boden nach oben in die Zukunft zu richten. Allmählich scheint Tini und Fritzemann schliesslich genau das zu gelingen und man kann ihnen dabei nur alles Gute wünschen.