Der Genfer Comiczeichner Frederik Peeters legt mit seinem Neuling "Saccage" einen genresprengenden (Alb)Traum zwischen Bilderbuch und Graphic Novel vor. Von Dela Wälti
«Saccage» : Das bedeutet Chaos, Plünderung, Zerstörung. Tatsächlich erinnert der Comic, wenn man denn die lose Abfolge seitenfüllender Zeichnungen so nennen kann, an einen blutigen Raubzug durch das Unterbewusstsein Frederik Peeters. Da feiern Monster aus Hieronymus Boschs Höllenfeuer zusammen mit Micky Maus an einem Pool, der geradwegs aus einem Gemälde von David Hockney stammen könnte. Entsprechend umfassend ist dann auch die Quellenangabe am Ende des Buches, eine nicht enden wollende Aufzählung künstlerischer Einflüsse. Panels wie Wimmelbilder, Collagen der Welt- und Kunstgeschichte, in denen man sich noch so gerne verliert. Denn auf jeder Seite gibt es neue Details und Anspielungen zu entdecken.
Der 45-jährige Comiczeichner und -autor hat schon früh auf sich aufmerksam gemacht. Bald zwanzig Jahre ist es her, seit die autobiografische Graphic Novel „Pilules Bleues“ über seine Liebe zu einer HIV-positiven Frau erschienen ist. Diese gewann nicht nur den Genfer Töpffer-Preis für „la jeune bande dessinée“, sondern wurde auch in mehre Sprachen übersetzt und sogar verfilmt. Im Jahr 2012 veröffentlichte er seine eigene Science-Fiction-Reihe „Aama“. Mit „Saccage“ gewährt einem Peeters nun, so könnte man sagen, einen Blick hinter die Kulissen, in den Kopf hinter einem so vielfältigen Oeuvre.
Die Handlung wird dabei zur Nebensache und das soll auch so sein. Peeters hat sich dagegen entschieden, die Zeichnungen in eine konventionelle Narration zu betten. Er beschreibt seine Entscheidung so:
Je réalise qu’il y a là un mécanisme artificiel, que j’ai tendance à échafauder des structures narratives autour d’une série de visions très claires et très fortes, presque comme un prétexte, un alibi pour avoir le droit de dessiner ces quelques images séminales.
Frederik Peeters
Ich habe festgestellt, dass diese Vorgehensweise etwas Künstliches hat, dass ich die Tendenz habe aus einer Reihe sehr klarer und starker Visionen einen erzählerischen Überbau zu zimmern, fast wie als Vorwand, diese wenigen Bilder überhaupt zeichnen zu dürfen.
Frederik Peeters (übersetzt)
So mutet es auch eher wie der Spaziergang durch eine Galerie als die Lektüre eines Buches an. Zusammengehalten werden die einzelnen Bilder nämlich nicht von Worten, sondern nur durch Peeters klaren, ausdruckstarken Zeichnungsstil, der mitunter an den französischen Comiczeichner Moebius erinnert. Stumm ist „Saccage“ trotzdem nicht: Die Farben schreien einem regelrecht entgegen wie das radioaktiv-leuchtende Gelb des Helden. Aber ist er das, ein Held? Oder eher Märtyrer? Messias? Odysseus? Schwierig zu sagen, wie er da mit unbewegter Miene über die Seiten stolpert, quer durch dystopische Welten nirgendwo zwischen Stein- und Neuzeit. Sicher ist nur, dass ihm passend zum Titel Chaos und Gewalt auf jeden Schritt zu folgen scheinen.
Mit der letzen Seite von „Saccage“ bleiben einem mehr Fragen als Antworten. So wie das Gefühl aus tiefem Schlaf erwacht zu sein, gefolgt vom sofortigen Drang das Buch erneut aufzuschlagen. Wer hätte gedacht, dass Unordnung so schön sein kann?