Nach drei Ausgaben meiner Bildgewandt-Serie über Neuheiten in der Welt der Graphic Novels und Comics, ist es an der Zeit einmal einen Blick zurückzuwerfen. Welche Graphic Novels muss man einfach gelesen haben? Hier findet ihr reichlich Lesefutter für den Sommer. Von Dela Wälti
Vor einem Jahr ist mit „Beverly“ von Nick Drnaso das erste Mal ein Comic für den Booker Prize nominiert worden. Spätestens damit sollte klar werden, dass die sogenannte neunte Kunst mehr zu bieten hat als Männer in Spandex und Frauen mit Proportionen, die sogar plastische Chirurgen ratlos zurücklassen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle eine Auswahl meiner Lieblings-Graphic-Novel vorstellen. Gerade rechtzeitig für die Sommermonate, die Nachmittage an der Aare, die Abenden auf dem Balkon oder im Garten. Viel Vergnügen!
Für Einsteiger
Mit „Watchmen“ hat Allan Moore die klassischen Superheldencomics revolutioniert. Seine Helden und Heldinnen sind verletzlich, voller Zweifel und keinesfalls immer moralisch. Dabei wird eine Frage gestellt, die immer noch nicht an Relevanz eingebüsst hat: „Who watches the Watchmen?“ Jede der sechs Hauptfiguren beleuchtet dabei eine andere Einstellung gegenüber richtig und falsch, gut und böse und am Ende bleibt es an den Lesenden zu entscheiden in welcher dieser Denkwelten, sie am liebsten leben möchten.
Auch HBO nimmt sich der Graphic Novel an und startet später in diesem Jahr eine eigene Serie in Moore’s dystopischem Universum. Es lohnt sich also das Buch noch vor Herbst zu lesen. Einen ersten Eindruck gibt es hier: https://www.youtube.com/watch?v=zymgtV99Rko
Weitere Tipps: Black Hammer, Astro City, Umbrella Academy
Für Geschichts-Fans
„Maus“ von Art Spiegelman gehört wahrscheinlich zum beeindruckendsten und bedrückendsten, was das Medium Graphic Novel zu bieten hat. Spiegelman nähert sich der Lebensgeschichte seines Vaters, einem Holocaust-Überlebenden, über symbolhafte Bilder an. Die Nazis werden als Katzen dargestellt, die Juden als Mäuse und die Polen als Schweine. „Maus“ ist mehr als ein reiner Zeitzeugenbericht, es ist gleichzeitig auch das Porträt einer schwierigen Vater-Sohn-Beziehung, geprägt vom traumatischten Ereignis der europäischen Geschichte.
Weitere Tipps: Palestine – Comic-Journalismus über den Israel-Palästina-Konflikt von Joe Sacco.
Für Abenteurer
Von einer Sekunde auf die andere sind plötzlich alle Männer auf der Welt tot, egal ob Mensch oder Tier. Also alle ausser der junge Entfesslungskünstler Yorick Brown und sein ungezogenes Kapuzineräffchen Ampersand. Er macht sich sodann auf eine Odyssee nach Australien um seine Verlobte wiederzufinden. Aber es ist ein weiter Weg von den USA bis „Down-Under“, vor allem wenn man dabei vom israelischen Militär, einer kämpferischen Amazonen-Gruppe und einer japanischen Ninja verfolgt wird. Brian K. Vaughns „Y: The Last Man“ überzeugt mit einer spannenden Prämisse, interessanten Figuren und witzigen Wortwechseln gespickt mit pop-kulturellen Anspielungen.
Weitere Tipps: Saga – Romeo und Julia im Weltall, nur dass sich die Liebenden nicht umbringen, sondern ein Kind bekommen. Locke and Key – Drei Geschwister entdecken magische Schlüssel in ihrem Haus und ein dunkles Familiengeheimnis.
Für Träumer
Die Welt, in der „The Motherless Oven“ und das Sequel „The Can-Opener’s Daughter“ spielen, ist so ungewöhnlich, wie es ihre Titel versprechen. Die Kinder basteln sich ihre Eltern selbst zusammen, es regnet Messer vom Himmel und der Todestag ist einem schon seit der Geburt bekannt. In dieser verrückten Umgebung entfaltet sich nun eine fast normale Coming-of-Age-Geschichte über einen Jungen, der seinen bevorstehenden Todestag nicht akzeptieren will und sich aufmacht den „Motherless Oven“ zu finden, der mythische Ursprung jedes Kindes. Rob Davis ist meisterhafter Schöpfer von Welten, die einen nicht so schnell wieder loslassen.
PS: Der dritte und letzte Teil „The Book of Forks“ soll im Oktober erscheinen.
Für Lesefaule
Graphic Novels können nicht nur helfen auf kurzweilige Weise das eigene Geschichtswissen aufzufrischen, es gibt auch unzählige Comic-Versionen von Werken der Weltliteratur, Biografien oder Sachbüchern. Wieso nicht ein paar der ewig auf dem Nachttisch liegenden Bücher mal so lesen? Oder das Allgemeinwissen erweitern? Zum Beispiel mit „Economix„. Michael Goodwin gibt einen Einblick, wie unsere Wirtschaft funktioniert oder eben nicht funktioniert. Auch wenn es sich vor allem auf das System der USA beschränkt, gelingt es ihm auch die allgemeinen und globalen Zusammenhänge verständlich zu erklären. Goodwins Blick ist dabei immer kritisch und richtet sich auch auf die Schattenseiten des Kapitalismus.