Endlich ist der Erstling des grossartigen Cousinen-Duos aus Kanada auch ins Deutsche übersetzt worden. «Skim» ist das Tagebuch von Kimberley Keiko, einer jungen Frau an der Schwelle zum Erwachsensein. Keine einfache Zeit: Gerade wenn zu Hause, in der Schule und vor allem in ihr drin das Chaos tobt. Von Dela Wälti
Skim. So nennen sie alle an der Schule, auch ihre beste oder eher einzige Freundin Lisa. Wie Skim Milk, Magermilch, weil sie eben gerade nicht dünn ist und ihre Haut weiss unter ihren schwarzen Haaren hervorscheint. Allein ihrer Englischlehrerin Ms. Archer gesteht sie, dass ihr Kim eigentlich lieber wäre. Sowieso vertraut sie dieser viele Dinge an, die sie sonst lieber für sich behält. Und schon bald fühlt sich das Herz in ihrer Brust an wie
«eine kaputte Waschmaschine oder ein Cartoon-Wecker». Als sich dann ein Junge aus der benachbarten Highschool das Leben nimmt, spricht die ganze Schule über nichts anderes mehr. Plötzlich wollen alle, dass man seine Gefühle der ganzen Welt zeigt, einer Welt, die einem dann doch wieder nicht zuhört.
Sechzehn zu sein ist das absolut Schlimmste, was ich bisher erlebt habe.
Skim
Jilian und Mariko Tamaki beweisen in ihrer ersten Graphic Novel viel Gespür für diesen zarten Graubereich zwischen Kindheit und Erwachsenenalter, den wir fast schon abschätzig Pubertät nennen. Ein Thema, das die beiden auch in späteren Projekten beschäftigt hat. «Ein Sommer am See», ihre zweite Graphic Novel, zum Beispiel handelt von einem Mädchen, das langsam aus ihrer kindlichen Welt herauswächst, sie abstreift wie eine alt und zu eng gewordene Haut. «Skim» dagegen befasst sich mit dem, was danach kommt: Die Zeit, in der man sich zuerst einmal an dieses neue Ich gewöhnen muss, das sich doch noch so verletzlich und fremd anfühlt.
Da sind dieses ganze Potenzial, diese Kraft und dieser Drang, sich selbst zu finden. Zugleich ist man dünnhäutig, verletzlich und macht Fehler.
Mariko Tamaki
Die Tagebuchform von «Skim» erlaubt es, einen Einblick in Kims Innenleben zu erhalten. Das ist gut so, denn sonst würde man wahrscheinlich gar nichts über sie erfahren, zu massiv sind die Mauern, die sie um sich herum aufbaut. Trotzdem bleibt auch einiges unaufgedeckt, nicht weiter erklärt, wahrscheinlich weil Kim vieles, was da in ihr vorgeht, selbst noch gar nicht versteht. Diese Unsicherheit zeigt sich gerade in den Sätzen, die durchgestrichen noch immer neben den Tagebucheinträgen stehen. Gedenksteine für Gefühle, die Kimberly noch nicht einmal vor sich selbst offengelegt lassen kann. Ergänzt werden diese durch die wunderschönen Kohlezeichnungen von Jilian Tamaki. In ihrer Einfachheit – ganz ohne Farbe und unnötige Details – könnten sie fast selbst aus den Seiten eines Tagebuches stammen. Diesen Eindruck verstärken die manchmal äussert unkonventionell gewählten Perspektiven. Es kommt beispielsweise vor, dass die Figuren schon aus dem Bild verschwunden sind und ihre Sprechblasen einsam zurückgelassen haben oder auch mal nur die Füsse gezeigt werden. Wie Schnappschüsse aus dem Teenagerdasein eben.
Am Ende wird klar: Ein so traumatisches Ereignis wie ein Selbstmord verändert vieles, aber eben doch nicht alles. Kim schreibt einmal, ihre Mitschülerinnen seien immer noch dieselben Trottel sind, egal wie mitfühlend sie tun. Sie selbst ist aber nicht mehr die gleiche. Trotz allem hat sie neues Selbstwertgefühl gewinnen können und eine neue Freundschaft. Man hofft, dass sie über ihre restlichen Schuljahre etwas leichter hinweggleiten mag, denn auch das kann «Skim» bedeuten.